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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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einander Zigaretten angeboten und grobe Gerichtsanekdoten erzählt, bis der arme Festgenommene gebracht wurde und die beiden ihren Kampf aufnahmen. Die Polizei hatte zehn Runden gewonnen. In all ihrem jugendlichen Verteidigungseifer hatte sie sich eingestehen müssen, daß das Verhalten des Richters sie nicht sonderlich erstaunte. Auf sie hatten die Angeklagten gefährlich, ungepflegt, unsympathisch und wenig überzeugend gewirkt, wenn sie ihre Unschuld beteuerten und gegen den Richter wüteten, einige hatten geweint, viele geflucht. Aber sie hatte verärgert auf die kumpelhafte Atmosphäre reagiert, die sich in dem Augenblick wieder einstellte, da der Häftling von zwei Polizisten hinausgeführt und in die Wartezellen im Keller zurückgebracht wurde. Die beiden Gegner, die einander eben noch jegliche Ehre abgesprochen hatten, griffen nicht nur ihre noch nicht beendete Anekdote wieder auf, sondern der Richter beugte sich auch noch zum Zuhören vor, schüttelte den Kopf und ließ eine scherzhafte Bemerkung fallen; und dann wurde das nächste arme Würstchen gebracht. Karen Borg fand, Richtern solle man aus dem Weg gehen und Freundschaften außerhalb des Gerichtssaals pflegen. Sie hatte sich dieses feierliche Verhältnis zu Gerichten bewahrt. Deshalb war sie froh darüber, während ihrer acht Jahre in der Anwaltskanzlei nicht einmal einen Fuß in den Gerichtssaal gesetzt zu haben. Sie löste die Probleme bereits vorher.
    Die Verhängung von U-Haft für Han van der Kerch wurde zum reinen Schreibtischjob. Er akzeptierte schriftlich acht Wochen mit Brief- und Besuchsverbot. Die Polizei akzeptierte voller Staunen seinen Wunsch, im Polizeigebäude bleiben zu dürfen. Der Mann war eben ein komischer Vogel.
    Karen Borg blieb das Untersuchungsgericht also erspart, und sie kehrte in die Kanzlei zurück. Die fünfzehn Anwälte und ebenso viele Sekretärinnen und Referendare hausten auf Aker Brygge. Die exklusive Herrenboutique im Untergeschoß hatte schon dreimal Konkurs gemacht und war nun endlich einer gut laufenden Hennes & Mauritz-Filiale gewichen. Die gemütliche teure Imbißbar hatte McDonalds Platz machen müssen. Überhaupt hatten die Lokalitäten nicht gehalten, was sie versprochen hatten, aber ein Verkauf würde einen katastrophalen Verlust bedeuten. Und zentral lagen sie immerhin.
    Greverud & Co stand an der Glastür, da der alte Greverud mit seinen zweiundachtzig Jahren noch immer jeden Freitag vorbeischaute. Er hatte die Firma gleich nach dem Krieg gegründet, nach seinem strahlenden Einsatz in den Prozessen gegen die Landesverräter. 1963 waren sie schon zu fünft gewesen, aber Greverud, Risbakk, Helgesen, Farmøy & Nilsen war den Frauen in der Telefonzentrale dann doch zu mühselig. Mitte der achtziger Jahre hatten sie Büros in dem Haus gekauft, das alle als Oslos zukünftigen Kapitalpalast sahen. Sie gehörten zu den wenigen, die überlebt hatten.
    Karen Borg hatte in dieser grundsoliden Firma ihren letzten Sommerjob gefunden. Greverud & Co wußten hartes Arbeiten und einen scharfen Verstand zu schätzen. Sie war die vierte Frau, die dort eine Chance bekommen hatte, und die erste, der das Glück hold gewesen war. Als sie ein Jahr später Examen gemacht hatte, waren ihr eine Anstellung, interessante Mandanten und ein unmoralisch hohes Gehalt angeboten worden. Es war unmöglich gewesen, abzulehnen. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, hatte sich gefreut und es für verdient gehalten. Jetzt verdiente sie anderthalb Millionen Kronen im Jahr und hatte fast vergessen, warum sie einst ihr Jurastudium aufgenommen hatte. Ihre legeren Klamotten waren adretten Kostümen gewichen, die sie im Bogstadvei für ein Vermögen erstand.
    Das Telefon klingelte. Ihre Sekretärin. Karen Borg drückte auf den Lautsprecherknopf. Für die Anrufenden war das unangenehm, ihre Stimme hatte ein Echo, das sie unklar machte. Karen hatte das Gefühl, dadurch im Vorteil zu sein.
    »Da ist ein gewisser Anwalt namens Peter Strup, bist du da, bei einer Besprechung oder schon gegangen?«
    »Peter Strup? Was will denn der von mir?«
    Es war unmöglich, ihre Verblüffung zu vertuschen. Peter Strup war ein berühmter Anwalt und außerdem vor einigen Jahren zum schönsten Mann Norwegens gewählt worden. Er trat immer wieder in den Massenmedien auf, weil er zu jedem Thema eine Meinung hatte. Er war neunundsechzig, sah aus wie vierzig und brachte immer noch hervorragende Skizeiten. Außerdem galt er als enger Freund des Königshauses, auch wenn
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