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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Autoren: Christian Y. Schmidt
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durch Horden von Schwarzticketverkäufern und Devotionalienhändlern. Noch in hundert Metern Entfernung hörte ich das Duo: «Deinen Schrott kannste behalten.» «Verpiss dich, Penner!» «Aus dem Weg, du Kuh.»
    Ich erschrak. Kann es sein, dass der offensichtliche Hang der Pekinger zur Koprolalie auf die hier lebenden Ausländer abfärbt? Und werde ich mich in ein paar Monaten auch so ausdrücken? Schwer zu sagen. Ich weiß nur: Franz Lehár hätte seiner Scheiß-Operette einen anderen Drecks-Titel geben müssen, die ultrakaputte Komponisten-Sau.

3 Hauptstadt der Schamlosen
    Wer nur ein kleines bisschen länger in China bleibt, wird bald feststellen: Die Chinesen lachen doch. Dieses Lachen ist allerdings nicht Ausdruck von Freude und Vergnügen, kein sogenanntes Léhar-Lächeln also. Auch ist es selten freundlich gemeint. Gelacht wird hauptsächlich aus Spott und Schadenfreude. Und besonders gerne über mich.
     
    Neulich nahm ich all meinen Mut zusammen und bestellte im Restaurant das gängige Gericht «Gong Bao Ji Ding» – in Peking beliebt wie Weißwurst in München oder Buletten in Berlin. Die Xiao Jie hatte mich sogar verstanden, was gar nicht selbstverständlich ist. Gerade wollte ich mich entspannt zurücklehnen, da ging am Nachbartisch das Gepruste los. Ich verstand nicht viel, aber immerhin dieses: «Lao Wai (Ausländer). Hahaha. Gong Bao Ji Ding. Prust. Lao Wai. Höhöhö. Gong Bao Ji Ding. Bruhahaha.» Dabei drehte man sich immer wieder zu mir um und zeigte mit Essstäbchen auf mich. Man stelle sich vor, in Berlin käme ein Chinese in ein Restaurant, bestellte eine Bulette, und zehn Minuten lang lachte sich der ganze Saal rund und scheckig: «Dit Schlitzaure hat, hahaha, ’ne Bulette bestellt. Ick, prust, jloob es, bruhaha, nicht.» Eine Schlagzeile auf der Titelseite der taz wäre das mindeste, was daraus folgen würde, wenn nicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
    Vor zwei Wochen kam es noch dicker. Ich durchschritt gerade eine Unterführung am Platz des Himmlischen Friedens, da strömten mir ein paar hundert lachende Chinesen entgegen. Ihr Lachen klang wild und krank. Es erinnerte mich an das von bis zur Demenz bekifften Gymnasiasten, ungefähr 1986, die im Kino sitzen und einen Film mit Didi Hallervorden anschauen. Didi allerdings sah aus wie Fatty Arbuckle, die amerikanische Komikerlegende: Ein junger Mann, Europäer oder Amerikaner, wahrscheinlich aufgrund jahrelangen Verzehrs von fett- und kohlenhydratreichen Speisen bizarr verfettet. Fatty konnte einem leidtun. Er schwitzte und hatte Panik im Blick. Er war umzingelt von Chinesen, die nur stehen geblieben waren, um sich über ihn lustig zu machen. Tapfer versuchte er, sich einen Weg durchs johlende gelbe Meer zu bahnen, doch das nützte nichts. Ein Teil der Meute lief mit ihm mit. Man zerrte glucksend an seiner Kleidung, redete prustend auf ihn ein und lachte, lachte, lachte. Platz des Himmlischen Friedens? Der Fette hätte sicher gerade lieber im Schützengraben gelegen, irgendwo bei Kandahar oder Herat und umzingelt von zwanzig hochmotivierten Selbstmordattentätern.
     
    Ich glaube, dass sich bei diesen Prustattacken niemand etwas Böses denkt. Die Pekinger sind einfach unglaublich schamlos. Überall lungern Eckensteher herum, die sofort Lachalarm schlagen, taucht eine lange Nase auf. Aus mir unbekannten Gründen wird aber bisweilen auch nur seltsam starr geglotzt, wobei die Glotzer allerdings meist Zugereiste aus entlegenen Provinzen sind. Vor ein paar Tagen ließ ich mir auf der Straße die Haare schneiden. Gleich standen zwanzig Leute da, die jedes zu Boden fallende Haar bestaunten. Wenn ich über die Straße gehe, folgen mir zig Augenpaare – Bauarbeiter, die am Straßenrand Pause machen. Sie beobachten mich wie ein seltenes Tier. Vorgestern brachte ich eine Topfpflanze nach Hause. «Interessant!», schrie einer auf dem Hof (meine Dolmetscherin übersetzte): «Der Lao Wai trägt eine Pflanze.»
    So schamlos, wie sich die Pekinger benehmen, so schamlos kleiden sie sich auch. Im Sommer trägt der männliche Hauptstädter bevorzugt weiße Feinrippunterhemden, die er bis über die Brustwarzen nach oben rollt. Die Frauen lieben durchsichtige, schockfarbene Nylonblusen, deutlich sich abzeichnende G-Strings und fleischfarbene Söckchen. Jugendliche gehen in selbstgehäkelten Netzhemden spazieren, kleine Mädchen in weißen Petticoats. Vertreter aller Generationen und Geschlechter tragen auf der Straße Schlafanzüge, geblümt,
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