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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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genauso lang ist wie die Beschreibung, sollten wir lieber ein Taxi nehmen.«
    Gloßner wagt nicht, sich auszumalen, was geschieht, wenn sie erneut in eine Kontrolle geraten – allein der Geruch seiner alkoholgetränkten Kleidung würde die Polizisten veranlassen, ihm an Ort und Stelle den Führerschein zu entziehen.
    »Was ist los mit euch Deutschen? Immer seid ihr in Sorge. Sigi, ich schwör dir, wir sind gleich da. Kurz nach dem übernächsten Dorf geht rechts ein Weg ab, was direkt in den Wald führt. Und am Ende vom Weg sind wir am richtigen Haus.«
    »Und wie lang ist dieser Waldweg? Noch mal so eine kilometerlange Schlaglochpiste, und mein Wagen ist endgültig ruiniert.«
    »Dreihundert Meter. Maximal vierhundert. Der Mirko hat gemeint, es könnten auch nur zweihundert sein.   Na zdraví! «
    Vašek hat unversehens aus dem Inneren seiner Jacke eine Flasche hervorgezaubert, die kurz vorher noch auf dem Tresen des   Blauen Affen   gestanden haben muss, und nimmt einen kräftigen Schluck.
    »Wo sind wir, Sigi?«
    »Auf dem Schild stand was wie Pol...zitsche oder -zitze oder so ähnlich.«
    »Polžice,   fajn ! Nach Polžice kommt Horšov. Nach Horšov hältst du dich rechts, und dann …«
    »Und dann sind wir wahrscheinlich schon kurz vor Prag.«
    »Langsam! Da vorne, das muss schon der Waldweg sein.«
    Gloßner stöhnt leise, als er wieder einmal Rollsplitt unter den Rädern knirschen hört. Vašek späht konzentriert durch die Windschutzscheibe. Die Flasche hat er im Handschuhfach deponiert.
    »Sigi, stopp! Lassen wir den Wagen hier stehen und gehen den Rest zu Fuß. Wenn deine Geschichte stimmt, ist besser, wir machen kein Licht und kein Geräusch.«
     
    *
     
    »Du bist anders, Leonie. Du bist doch anders? Oder hast du auch einen kleinen Pisser, der dir den Kopf verdreht und verpestet? Schau, wie schön deine Hände sind! Genau so wie ihre – diese Hände sind ein Geschenk, das wirft man nicht weg! Das ist eine Sünde, ein ganz übles Vergehen, hörst du Leonie! Ich bin gut, ich bin sehr gut, ich bin ein hervorragender Musiker. Aber ich bin nicht gut genug geworden. Siehst du? Siehst du meine Hände? Die habe ich von meinem Vater. Meine Mutter hat den falschen Mann geheiratet, von dem habe ich diese Hände. Ich war so glücklich mit deiner Schwester, sie hatte alles, was es braucht, sie hatte die Ohren, das Herz, die vollkommenen Hände – und sie hatte mich! Ein solches Glück hat nur ein Mensch von hunderttausend, wenn überhaupt – aber sie hat es weggeschmissen, hat sich besudeln lassen, ihren Kopf, ihr Herz, ihre – Hände! Du kannst es wieder gutmachen, Leonie! Du musst es wieder gutmachen, verstehst du! Das seid ihr mir schuldig.«
     
    *
     
    Mittlerweile hat sich eine massive Wolkenwand vor den Mond geschoben und lässt ihm nicht einmal die Chance, den Waldweg vor Gloßner und Vašek mit einer Art Notbeleuchtung zu versehen. Fern im Osten zuckt ein leuchtendes Wetter über den müden Himmel. Gloßner schenkt sich die Frage, warum Vašek anstelle der Slivovitzflasche nicht besser eine Taschenlampe eingesteckt hat – die dürften auf allen Kneipentresen dieser Welt Mangelware sein.
    Ratsch!   Das war ein Brombeerstrauch, vielleicht auch eine Himbeerranke, die sich gegen die nähere Bekanntschaft mit Gloßners Hosensaum zur Wehr gesetzt hat. Die Nacht tut weh. Natur tut weh.
    Blödheit tut weh – eigentlich sollte man schreien vor Schmerzen, denn man muss schon ganz schön blöd sein, um sich auf so was einzulassen. Aber jetzt sind sie hier, und wenn es sich bei dem hellen Schemen vor dem Haus nicht um ein Nebelgespinst handeln sollte – und es ist kein Nebelgespinst, sondern tatsächlich ein Mercedes mit Nürnberger Kennzeichen, der haargenau auf die Beschreibung passt – dann haben sie jetzt ein ganz anderes Problem als zerkratzte Waden. Gloßner weiß das, Vašek weiß das. Es ist, als hätte das Navigationssystem gemeldet »Ziel erreicht« – ohne den Navigierenden zu verraten, was sie am erreichten Ziel machen sollen oder können.
    Ein Fenster im Erdgeschoss des Hauses ist beleuchtet, sie schleichen sich heran, so leise das im böhmischen Urwald möglich ist, und sehen in ein Zimmer, das gerade von niemandem mit Anwesenheit beehrt wird. Und niemand im Haus tut ihnen den Gefallen, auch nur das kleinste Geräusch von sich zu geben. Drinnen könnte sich die Bundeskanzlerin befinden oder der tote Michael Jackson, selbstverständlich auch ein durchgedrehter Lehrer mit seiner Geisel. Und?
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