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Black Box

Black Box

Titel: Black Box
Autoren: Joe Hill
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an. Im selben Moment fing die IBM wieder an zu rattern, die Typen bewegten sich von selbst, der silberne Kugelkopf hämmerte gegen die schwarze Walze. Elena stieß einen Schrei aus.
    Aber sie hielt sich aufrecht. Nicht so ihre Mutter, die Elena am nächsten Abend in den Keller führte. Kaum erwachte die Schreibmaschine zum Leben, warf sie die Hände in die Luft, kreischte, und ihre Knie gaben nach. Elena musste sie am Arm packen, damit sie nicht umfiel.
    Nach ein paar Tagen jedoch hatten sie sich daran gewöhnt, und dann wurde es richtig aufregend. Elenas Mutter hatte die Idee, ein Blatt Papier einzuspannen, bevor sich die Schreibmaschine abends um acht von selbst einschaltete. So könnten sie sehen, was sie da schrieb, ob es sich vielleicht um eine Botschaft aus dem Jenseits handelte: Mein Grab ist kalt, ich liebe und vermisse euch.
    Doch es war nur eine weitere seiner Kurzgeschichten. Sie hatte nicht einmal einen Anfang – die Maschine schrieb einfach mitten im Satz los.
    Ihre Mutter hatte auch den Einfall, die örtlichen Medien zu informieren. Eine Channel-Five-Redakteurin kam vorbei, um sich die Schreibmaschine anzusehen. Sie wartete, bis sich die Maschine einschaltete, ließ sie ein paar Seiten schreiben, erhob sich wieder und stieg rasch die Treppe hinauf. Elenas Mutter eilte ihr hinterher. »Fernsteuerung«, schnappte die Redakteurin. »Wann haben Sie Ihren Mann begraben, Ma’am? Letzte Woche? Was haben Sie für ein Problem?«
    Kein anderer Fernsehsender war interessiert, und auch der Mann bei der Zeitung sagte, das wäre nichts für sie. Als schließlich sogar einige ihrer Verwandten glaubten, sie würden ihnen einen üblen Streich spielen, legte sich Elenas Mutter mit Migräne ins Bett und blieb dort mehrere Wochen, mutlos, verwirrt. Im Keller klapperte die Schreibmaschine weiterhin jeden Abend munter vor sich hin.
    Elena kümmerte sich um sie, lernte, wann sie ein Blatt Papier einspannen musste, damit die Maschine jeweils drei neue Seiten füllen konnte, so wie sie es auch getan hatte, als ihr Vater noch am Leben war. Ja, die Maschine schien sogar auf sie zu warten, fröhlich summend, voller Vorfreude auf ein frisches Blatt Papier.
    Zeit verging, und als schließlich niemand mehr auch nur einen Gedanken an die Schreibmaschine verschwenden wollte, ging Elena immer noch abends in den Keller, hörte Radio, legte die Wäsche zusammen, fütterte die IBM mit Papier. Es war ein netter Zeitvertreib, ein Ritual, so als würde sie jeden Tag das Grab ihres Vaters besuchen, um ihm frische Blumen zu bringen.
    Außerdem las sie gerne die Geschichten, wenn sie fertig waren. Es waren Geschichten über Masken und Baseball, über Väter und ihre Kinder. Und über Geister. Die Geistergeschichten gefielen Elena am besten. Lernte man das in Schreibkursen nicht als Erstes? Schreiben Sie über das, was Sie kennen! Der Geist in der Maschine schrieb sehr kenntnisreich über die Toten.
    Irgendwann gab es die Farbbänder für die Schreibmaschine nur noch auf Bestellung, und dann stoppte IBM ihre Produktion ganz. Der Kugelkopf nutzte sich ab. Elena ersetzte ihn. Auch der Wagen blieb immer öfter hängen. Eines Abends ließ er sich überhaupt nicht mehr bewegen. Aus der Maschine kam öliger Rauch. In irrem Zorn hämmerte sie einen Buchstaben auf den anderen, bis Elena sie schließlich ausschaltete.
    Sie gab sie zu einem Mann, der alte Geräte reparierte. Als er sie zurückbrachte, war sie zwar voll funktionsfähig, schrieb jedoch nicht mehr von allein. In den drei Wochen, die sie in der Werkstatt gewesen war, hatte sie diese Fähigkeit offenbar verloren.
    Als kleines Mädchen hatte Elena einmal ihren Vater gefragt, warum er jeden Abend in den Keller ging, um sich Geschichten auszudenken, und er hatte geantwortet, er könne nicht einschlafen, ohne vorher zu schreiben. Das Schreiben würde seine Phantasie anregen und ihn süß träumen lassen. Die Vorstellung, dass er sich nun nach seinem Tod hin und her wälzte und nicht einschlafen konnte, beunruhigte Elena, aber da war nichts, was sie tun konnte.
    Inzwischen war sie Mitte zwanzig, und als ihre Mutter starb – eine unglückliche Frau, die sich nicht nur ihrer Familie, sondern der ganzen Welt entfremdet hatte –, beschloss sie umzuziehen. Also musste sie das Haus und alles, was sich darin befand, verkaufen. Sie hatte gerade damit begonnen, das Durcheinander im Keller aufzuräumen, da saß sie schon auf der Treppe und las die Geschichten, die ihr Vater nach seinem Tod geschrieben
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