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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet
Autoren: Walter Mosley
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denen einer ein echter Serienkiller sein mochte, sich Süßholz vorraspelten, las ich über Frankreich.
    Ich hatte nicht gewusst, dass Frankreich um 1780 das bevölkerungsreichste Land Europas, gewesen war, Russland eingeschlossen, und Paris die größte Stadt mit der am besten ausgebildeten Bevölkerung. Mein Vater hatte mir eine Menge über die Französische Revolution beigebracht, doch dabei ging er eindeutig marxistisch vor und ließ sowohl alle Romantik als auch die prosaischen Widersprüche aus.
    Im Hintergrund schwatzten Cyril und Chrystal über Orte, die sie gemeinsam besucht hatten, und Dinge, die schiefgelaufen waren. Er entschuldigte sich, sie hielt sich mit Vergebung weiterhin zurück.
    Dann wurde es kalt. Nicht, dass die Temperatur im Zimmer fiel, es war nur eine Brise, die nicht hätte sein sollen. Ich schaltete den Lautsprecher mit einem Finger aus und blickte auf.
    Statt in Grün war er nun ganz in Schwarz gewandet, und man sah ihm seine vierzig Jahre deutlich an, aber es war noch immer Fledermaus, das Schlitzohr aus der East-Side-Kommune, in der Shawna Chambers ihr Ende gefunden hatte.
    »Bisbe?«, fragte ich, und er lächelte. Grinste.
    Die Waffe steckte in meiner Tasche, meine Hände lagen auf dem Tisch.
    Ich war gespannt.
    »Du bist wie ein kleiner Junge, der den ganzen Sommer Tag für Tag nach Hummeln jagt«, sagte Bisbe mit verträumter Stimme. »Endlich, einen Tag vor Herbstbeginn, fängst du eine in deiner kleinen Hand, aber wohl eher, weil die Hummel einen Fehler gemacht hat, nicht weil du sonderlich geschickt gewesen wärst. Und jetzt hast du einen wütenden Stechling direkt auf der Haut.«
    Urplötzlich tauchte ein Messer in Bisbes Hand auf. Eine Art Zaubertrick. Sein Tempo und der fiebrige Glanz in seinen Augen erinnerten mich an einen Boxer, gegen den ich mal gekämpft hatte, ein dürres Mittelgewicht namens Joe Dudd. Ich hätte Joe zu einer frühen Niederlage prügeln können, aber er war wahnsinnig, existierte auf einer ganz anderen Ebene von Gewalt. Nach nur vier Runden hatte er mich auf die Knie gezwungen, und ich kam nicht mehr hoch.
    Ich sah auf einen Fleck auf dem Boden, auf halbem Weg zwischen der Tür, in der Bisbe stand, und dem Tisch, an dem ich saß. Ich wusste, wenn Bisbe diese Linie überschritt, dann brauchte ich Glück oder war tot.
    Um an meine Pistole zu gelangen, musste ich meine Hand zurückziehen, in die Tasche stecken, die Waffe herausholen, ohne dass sie sich im Stoff verfing, zielen und feuern, bevor er mir die Kehle durchschnitt. Oder ich entging irgendwie seinem ersten Angriff und packte ihn. Angesichts seines Tempos bezweifelte ich, das eine oder andere Manöver zu Ende bringen zu können.
    Bisbe tat einen Schritt vor.
    Um zu verhindern, dass er meine Strategie erahnte, hielt ich den Blick auf seine Brust gerichtet.
    Wieder tat er einen Schritt und überschritt die Grenze zu meinem unausweichlichen Ende.
    Ich erhob mich.
    »Stopp!«, rief Johnny Nightly, der arrogante Dummkopf.
    Mit erstaunlicher Geschwindigkeit drehte Bisbe sich um. Ich griff in die Tasche. Johnny feuerte aus seiner schallgedämpften Waffe, aber erst, nachdem Bisbe sein Messer geworfen hatte. Johnny stöhnte auf und fiel rücklings in den Wandschrank, aus dem er gekommen war. Bisbe wurde in der Brustmitte von einem Dumdumgeschoss getroffen. Er hätte tot sein müssen, war es aber nicht.
    Aus reinem Reflex stürzte ich zu Bisbe. Ich suchte ihn nach Waffen ab, während er überrascht an die Decke starrte. Nichts – keine Pistole, nicht mal ein zweites Messer. Er war genau so ein Dummkopf wie Johnny.
    Der Poolhallenkiller lag rücklings halb im Schrank, halb draußen. Bisbe hatte sein Ziel glücklicherweise um sechs, sieben Zentimeter verfehlt und ihn unterhalb der linken Schulter getroffen. Lunge und Herz waren nicht verletzt. Ich ließ das Messer stecken, riss aber Johnnys Hemd auseinander, um die Wunde zu begutachten und ihn verbinden zu können.
    »Ich hab doch gesagt, du sollst ihm keine Chance lassen«, schimpfte ich.
    »Hab nicht gedacht, dass sich jemand so schnell bewegen kann«, erwiderte Johnny. »Tut mir leid, LT.«
    »Mich hat er ja nicht durchlöchert«, erwiderte ich und drückte auf die Wunde.
    Bisbe stöhnte.
    Ich legte Johnnys Hand auf den Notverband und sagte: »Kannst du das eine Minute halten?«
    »Tu, was du tun musst«, erwiderte er.
    Bisbe versuchte, sich zu erheben, doch die Wunde in seiner Brust war tödlich. Er würde nie wieder aufstehen.
    »Shit«, sagte er.
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