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Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß
Autoren: Gerbrand Bakker
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hören, manchmal sogar schon, wenn wir noch mitten in einer anderen Geschichte waren.
    Danach ging er schlafen. Um zu träumen und zu sehen. Oder um über seine Zukunft nachzudenken. Wir wissen es nicht.
    Kees konnte nicht einschlafen. »Ist dir auch was an der Karte von Mama aufgefallen?«
    »Wie meinst du?«
    »Etwas, das anders ist als sonst.«
    »Was denn?«
    »Sie hat zum ersten Mal selbst italienisch geschrieben.«
    »Verdammt, du hast recht.«
    »Ob das was bedeutet?«
    »Weiß nicht. Kann schon sein.«
    »Aber was denn?«
    »Mensch, Kees, woher soll ich denn das wissen?«
    »Ich frag ja nur. Es fiel mir eben auf.«
    Klaas seufzte und drehte sich um. »Wir werden es schon sehen.«

1. August. Kees liest vor. Nur wenn es nicht anders geht, höre ich mir die CD mit der Stimme des Autors an. Kees kann besser vorlesen als Klaas, er hetzt nicht so. Kees kann sogar besser vorlesen als der Autor selbst. Ich sehe alles vor mir, das ist das Schöne an diesen Geschichten. Das Leben ist übersichtlich, es gibt nur ein Tier von jeder Sorte, sie wohnen alle zusammen in ein und demselben Wald, und jedes Tier ist irgendwas und bleibt das auch. Nie stirbt jemand, nie wird jemand geboren, und trotzdem hat ständig irgendein Tier Geburtstag. Es ändert sich fast nie etwas, und wenn doch eine Änderung droht, dann kommt sie letztendlich doch nicht, oder alles wird wieder gut. Die Ameise möchte ab und zu weggehen, das gefällt ihr, weggehen. Aber sie kommt immer wieder. Immer. Der Bockkäfer ist der Doktor, und fast immer ist die Grille seine Patientin, während der Elefant ständig von Pappeln, Buchen und Eichen runterfällt. Es ist eine Welt, in der ich mich zu Hause fühle. Mehr als in der echten Welt, meiner neuen Welt.
    Kees macht keine Stimmen nach, aber ich höre an seiner Stimme, welches Tier er mag. Der Ton seiner Stimme geht mit der Stimmung der Geschichten einher. Er spricht nicht mit Absicht traurig oder fröhlich, wenn etwas Trauriges oder Fröhliches passiert, aber dennoch verändert sich sein Ton. Ich habe Kees sehr lieb, ich habe Kees lieber als Klaas, aber vielleicht darf ich das nicht denken.

    Zu Hause, dieses Haus ist ein Käfig. Ein düsterer Käfig, aus dem ich vielleicht niemals ausbrechen kann. Klaas undKees sind freundliche, sanfte Wächter, die fast nie die Geduld mit mir verlieren. Gerard ist ein weniger freundlicher Wächter. Er bringt Unruhe, er stellt Fragen, er will mich zu Entscheidungen zwingen. Ich will es aufschieben, ich will nicht vorausdenken. Ich will nichts. Ich will Ruhe.

    Als ich im Krankenhaus lag, war ich noch nicht wirklich blind. Das kam erst, als ich zu Hause war und begriff, dass ich immer zu Hause bleiben würde. In diesem Haus oder später in einem anderen Haus. Alles, was Harald sagte, war wahr, und alles, was die Ärzte sagten, auch. Und ich hoffte weiterhin, dass sie etwas daran ändern könnten. Dass eines Tages jemand mit einer gespendeten Hornhaut ins Zimmer gerannt käme. Oder meinetwegen auch mit zwei kompletten Augäpfeln. Im Krankenhaus hatte ich keinen Grund, traurig zu sein oder wütend oder was auch immer. Ich war nichts und niemand da. Nichts brauchte ich zu entscheiden. Alles wurde mir abgenommen. Das Krankenhaus war ein Ort mit einem offenen Ende. Zu Hause ist ein Käfig.

    3. August. Ich habe einen neuen Kneifball. In den ersten Ball habe ich so oft und fest gekniffen, dass er kaputtgegangen ist. Gerard hat, praktisch, wie er ist, gleich fünf neue gekauft. Soll ich noch fünf Kneifbälle kaputtkneifen? Na ja, vier, einen habe ich Daan gegeben. Gerard sagt auch, dass ich unbedingt schwimmen muss, nächste Woche, wenn Klaas, Kees, Daan und ich zu Anna und Jan fahren. »Schwimmen ist ein guter Sport«, sagt er, »das kräftigt alle Muskeln.« Gut, ich werde schwimmen.

    Die Karte von meiner Mutter geht mir nicht aus dem Kopf. Die Männer mit Sonnenbrillen. Warum schickt sie mir eine Karte voller Sonnenbrillen? Das hat sie noch nie gemacht. Warum gerade jetzt, wo ich eine Sonnenbrille tragen muss? Spürt sie vielleicht was? Warum kommt sie nicht nach Hause? Sorgt sie wirklich absichtlich dafür, dass wir die Poststempel nie entziffern können? Sie ist schon sehr lange weg, und ich dachte, ich könnte inzwischen auf sie verzichten, aber das stimmt nicht. Ich brauche sie, ich will meine Mutter zurück. Wenn sie da ist, wird alles wieder gut. Zum ersten Mal hat sie selbst geschrieben, dass sie in Italien ist, das ist mir aufgefallen. Vielleicht bedeutet das was? Ich
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