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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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exzessiven Alkoholkonsum – zu kontrollieren versuchen, als sie selbst vielleicht ursprünglich geplant hatten, als sie zu einer Fete gingen; weil eine sichere Bindung fehlt, haben sie auch in der Gruppe große Angst, während sie äußerlich Coolness demonstrieren.
    In der Regel reduziert die Mitgliedschaft in einer Peergroup auf längere Sicht die Angst, führt in gewisser Weise durch die Zugehörigkeit zur Gruppe zum Gefühl, geschützt zu sein, und zur Entspannung; gleichzeitig können im Schutz der Gruppe völlig neue, manchmal als »sensationell« erlebte Erfahrungen gemacht werden, sei es bei einer gemeinsamen Reise, gemeinsamen Explorationen, beim Besuch von Konzerten, Partys. All dies würde alleine nicht so gut und angstfrei gelingen wie im Schutz einer Gruppe. Das heißt, die Gruppe wird mit der Zeit zu einer sicheren Basis, die als Übergangsraum für das Entstehen eines autonomen Entwicklungsweges von großer Bedeutung ist. Jugendliche Abenteuer und Erkundungen werden in der Beziehung zu den Mitgliedern einer Gruppe erst richtig möglich. Dagegen haben Jugendliche mit unsicheren Bindungen, desorganisierter Bindung oder gar Bindungsstörungen große Schwierigkeiten, sich in Gruppen zurechtzufinden, da sie diese auch als bedrohlich erleben können.
    Therapiebeispiel Frank
    Der 15-jährige Frank hatte in seiner Ursprungsfamilie viel häusliche Gewalt erlebt und war Zeuge von aggressiven Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern gewesen. Er hatte zunehmend mehr Schulprobleme entwickelt. Für einige Zeit hatte er eine erste sexuelle Beziehung zu einer zwei Jahre älteren Freundin, die ihn emotional stabilisierte.
    Als die Freundin ihn verließ, war er traurig, gekränkt und deprimiert. In seiner depressiven Stimmung zog er sich in die Sicherheit einer Clique zurück. Dort wurde in großen Mengen Alkohol konsumiert und auch exzessiv mit dem Computer gespielt. Er war relativ bald aufgrund seines Alkoholkonsums, den er kaum steuern konnte, und seiner depressiven Stimmung suchtgefährdet. Einmal wurde er wegen einer Alkoholintoxikation auf der Intensivstation der Kinderklinik aufgenommen und behandelt. Gegenüber einer Therapie war er im Gespräch mit der Psychologin, die mit ihm auf der Intensivstation im Rahmen des von der Kinderpsychosomatik angebotenen Konsil- und Liaisondienstes sprach, sehr ambivalent. Er kam schließlich zu einem vereinbarten Erstgespräch, lehnte aber zunächst einmal die regelmäßig angebotenen Einzeltermine ab. Er kam schließlich unregelmäßig zu Therapiestunden, die er zuvor selbst über SMS oder E-Mails verabredet hatte.
    Diese Beispiel ist typisch und zeigt, dass eine flexible Nähe-Distanz-Regulation durch den Therapeuten erforderlich ist, denn eine hohe Ambivalenz, anfänglich oft auch Ablehnung, von Seiten der Jugendlichen gegenüber einer Psychotherapie ist eher die Regel als die Ausnahme. Hatte Frank einen Therapietermin ausgemacht und nicht wahrgenommen, wurde er von mir angerufen und wir besprachen am Telefon, warum er den Termin vergessen hatte – nicht im Sinne einer Anklage oder eines Vorwurfs, sondern um ihm meine Bereitschaft, zu verstehen, was emotional in ihm in dieser Ambivalenz »abgelaufen« war, zu zeigen.
    Aufgrund der von ihm in seiner Familie schon in der frühen Kindheit erlebten häuslichen Gewalt hatte er große Ängste vor einer ersten engeren Partnerschaft, ja vor jeder näheren – erst recht einer therapeutischen – Beziehung. Wir konnten dies ausführlich immer wieder in unseren Gesprächen »anschauen«, so dass er sich langsam aufgrund der in der Therapie erlebten Stabilität und emotionalen Sicherheit auch auf Zweierbeziehungen und Freundschaften einlassen konnte; dies führte dazu, dass er sich auch mehr aus destruktiven, durch Alkoholexzesse gekennzeichneten Gruppenaktivitäten zurückziehen konnte.
Magersucht als besondere Form der jugendlichen Suchtverhaltensweise
    Wenn Jugendliche schon sehr früh erfahren – wir sehen heute Jugendliche, die bereits in der Vorpubertät im Alter von kaum zehn Jahren magersüchtig sind –, dass sie durch kontrolliertes Hungern auch Affekte kontrollieren können, die sonst bedrohlich sind und Angst machen, kann dies den Beginn einer Entwicklung zur Magersucht bedeuten. Durch das Hungern kommt es zu einer Körperdissoziation, d. h. Affekte, Angst, auch Körperveränderungen, wie sie durch die Pubertät entstehen – bei Mädchen etwa das Wachsen der Brüste und die Periodenblutung, bei Mädchen und Jungen
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