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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht
Autoren: Léo Malet
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lästigen Zeugen... deswegen umgebracht... vielleicht auch aus anderen Motiven, die ich nie erfahren würde. Leben gelassen... Nein, töten konnte sie mich nicht. Genauso wie ich sie nicht töten konnte... Ich fragte mich, ob sie mit den wichtigsten Informationen über Corbigny an Bord der „Sonnenblume“ gegangen war. Es wäre umsonst gewesen. Und dann war die Nacht gekommen, die Nacht, die jetzt langsam zu Ende ging. Larpent, der aus seinem Krankenhausbett geflüchtet war, stattete dem Nobelhotel einen Besuch ab, um zu sehen, wie die Dinge standen. Nicht aus Eifersucht - in dem Moment war er nicht eifersüchtig! Sondern weil er bei der Lektüre des Crépuscule mit dem Gespür eines Jagdhundes gewittert hatte, daß Geneviève dabei war, ihn übers Ohr zu hauen oder es zu versuchen... Und als er feststellte, daß sie bewaffnet war, nahm er ihr aus Vorsicht den Revolver ab, mit dem sie im Palais-Royal getötet hatte und der jetzt Larpent mit diesen Morden belastete...
    Der Himmel von Paris wurde allmählich blasser.
    Sie lag im Nebenzimmer im Sterben. Niemand würde jemals etwas von ihren Taten erfahren. Kein Gerede. Burma für Geneviève. Larpents Andenken würde das Gewicht dieser Verbrechen schon aushalten. Das Andenken des eleganten Mannequins von der Place Vendôme würde geschützt werden. Man würde das herrliche Geschöpf beweinen, deren anbetungswürdigen Körper ein internationaler Verbrecher vor der goldenen Kulisse eines Luxusappartements mit Kugeln durchlöchert hatte. Aber man würde nicht erzählen, was ich wußte: daß sie nämlich mit diesem anbetungswürdigen, duftenden, warmen und zärtlichen Körper den eines schlechtbezahlten, immer abgebrannten und nach Pfeife riechenden Detektivs geschützt hatte. Aber vielleicht hatte ich Ähnlichkeit mit ihr. Ich malte es mir aus. Ich fühlte mich müde, zerschlagen. Sie lag im Nebenzimmer im Sterben...
    Jemand berührte meine Schultern. Ich drehte mich zur Krankenschwester um, sagte nichts. Die Frau in Weiß sagte auch nichts. Sie sah mich an. Das genügte. Ich wandte mich ab, trat auf den Balkon hinaus und betrachtete das Morgengrauen am Himmel von Paris.
    Hinterm Louvre ging die Sonne auf.
    Paris 1954
     

Nachgang
    (1. Arrondissement)
     
    Natürlich war auch heute Morgen die Sonne hinter dem Louvre aufgegangen. Aber es muß ein kurzes Schauspiel gewesen sein. Jetzt stand der Himmel bleigrau über der Ile de la Cité und der Conciergerie, diesem ehemals königlichen Schloß, das dann zum Wartesaal für die Guillotine wurde. Für Marie-Antoinette und die Dubarry, aber auch für Danton und Robespierre. Die Südseite der Cité-Insel schließt mit dem Quai des Orfèvres ab. Kommissar Maigret läßt schön grüßen.
    Aber ich bleibe, im Windschatten von Nestor Burma, auf der rechten Seite der Seine, gehe nur ein paar Schritte auf den Pont Neuf. Die ,Neue Brücke’, die doch die älteste von Paris ist. Die erste, die nicht, wie damals üblich, mit Häusern zugebaut wurde. Den Weg unter die Brücke konnte ich mir sparen. Da haben längst keine Clochards mehr ihr Quartier aufgeschlagen; wie einst im wohl bekanntesten Pariser Chanson behauptet:
sous les ponts de Paris
lorsque descend la nuit
toutes sortes de gueux se faufilent en cachette
et sont heureux de trouver une couchette...
(Wenn unter den Brücken von Paris
die Nacht hereinbricht, schleichen heimlich die Bettler umher
und sind glücklich, ein Lager zu finden.)

    Nichts geht mehr. Rien ne va plus. Das Nachtasyl unter der Brücke ist Paris von gestern. Jedenfalls am Quai de la Mégisserie, an dem Burma eins über den Schädel bekam und von Aurelienne d’Arnetal und ihrem Jules, ihrem Saufkumpan, auf gelesen wurde.
    Heute befindet sich dort eine Schnellstraße. Am Quai selbst warten noch immer die Bouquinisten auf ihre Kunden. Ein mühsames Geschäft. Alte Postkarten, Briefmarken, Poster-Nachdrucke, immer seltener zerfledderte Schmöker.
    Auf der anderen Straßenseite noch immer der Pflanzen- und Tiermarkt. Ratten und Hühner, Kaninchen und Enten, ein Schwanenpaar für 500 Mark. Neben vielerlei Kakteen halten Vorgartenzwerge die Wacht an der Seine. Schrebergarten-Emigranten aus Deutschland vielleicht. Oder dem Elsaß bestenfalls. In Paris werden sie sich kaum heimisch fühlen. Seltsam. Die meisten Vogelkäfige sind leer. Ein paar Wellensittiche, ein offenbar verstockter Papagei, aber keine Distelfinke. Kein Wunder. Nestor Burma war hier! Hat sie alle ausfliegen lassen.
    Ich ließ das ganze Geschnatter und
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