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Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)

Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
Autoren: Su Turhan
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Treiben und den Verkehrslärm um sich herum auszublenden. Dann konzentrierte er sich auf den Leichnam. Das glückliche Lächeln auf dem Gesicht des Toten verwunderte ihn. Er musste an Erleuchtung und Glückseligkeit denken. Eine eigenwillige Art, sich aus dem Leben zu verabschieden, urteilte er. Auf Anhieb konnte er keine Anzeichen von Gewalt erkennen. Der Mann lag friedlich vor ihm, er war etwa eins siebzig groß. Seine schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Demirbilek schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Auf dem Unterarm hatte er eine Tätowierung, eine abstrakte Darstellung eines tanzenden Derwischs. Der Kommissar hatte seine Fähigkeit, zielgerichtet zu assoziieren, in seiner jahrelangen Ermittlungstätigkeit so weit kultiviert, dass er aus Physiognomie und Tätowierung die Herkunft des Mannes in der Türkei mutmaßte. Er konnte Türke sein. Musste aber nicht, wies er sich zurecht. Gleichzeitig merkte er, wie in ihm eine sinnliche Vorfreude entfacht wurde. Er verspürte Lust, die Umstände, die zum Tod des Mannes geführt hatten, zu untersuchen.
    Es gab, wie ihm gleich nach der Ankunft berichtet worden war, keinen Hinweis auf die Identität des Toten. Weder Geldbeutel mit Ausweispapieren oder sonstige Dokumente. Kein Handy. Kein Schlüssel. Keine Jacke. Raubmord war nicht auszuschließen. Oder hatte der Mann seine Wertgegenstände abgelegt, bevor er in das Brunnenbecken stieg? Er schüttelte den Kopf. Nein, das ergab keinen Sinn. Seine Hose hatte er angelassen. Er beugte sich ein Stück vor und zog die triefnasse Jeans ein wenig nach unten. Die Unterhose war schwarz. Mit der hätte er sich ohne weiteres in das Becken wagen können, urteilte der Kommissar. Dann hob er den Kopf und blickte sich um. Mehrspurige Straßen säumten den klassizistischen Brunnen. Das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt war hoch. Auch nachts. In der Umgebung gab es einige Bars und Clubs. Durch den Park konnten Passanten gekommen sein. Wer wohl die Leiche gefunden hat?, fragte er sich. Schließlich richtete er seine Aufmerksamkeit auf das, was ihm sofort ins Auge gestochen war. Die linke Hand des Toten umklammerte den Henkel eines zerbrochenen steinernen Bierkrugs. Er beäugte das Gefäß. Auf dem Bruchstück ließ ein geschnörkeltes Wappen in Retro-Design die gute alte Zeit hochleben. Der einzige einigermaßen entzifferbare Buchstabe schien ein M zu sein.
    »Kennt jemand von euch eine Brauerei, die mit M anfängt?«, fragte der Kommissar mit erhobener Stimme.
    Die Kollegen packten gerade die Arbeitsutensilien zusammen. Einer der beiden jungen Mitarbeiter, die den Toten aus dem Brunnen gehoben hatten, fühlte sich trotzdem angesprochen. Er kam näher und kniete sich zum Kommissar.
    »Hab ein paarmal im Oktoberfest als Sanitäter gearbeitet. Diesen Geruch kenne ich und das Gegrinse auch. Bierleichen haben so ein Lächeln auf den Lippen. Habe mich auch schon gefragt, wie der an den Bierkrug gekommen ist«, sagte er mit kollegialer Stimme, aus der Demirbilek heraushörte, nach Meinung des jungen Mannes auf der richtigen Fährte zu sein. Er wollte ihm schon unmissverständlich klarmachen, für ein Fachgespräch nicht in Stimmung zu sein, als er mit ansehen musste, wie der Beamte allen Ernstes eine Leberkässemmel hervorzauberte.
    »Hatte kein Mittagessen«, erklärte er, bevor er mit Genuss einen Bissen nahm, der für zwei gereicht hätte.
    Demirbileks Magensäfte reagierten wie die Fontänen des Springbrunnens auf den Reiz des wohlduftenden Imbisses. Speichel strömte wasserfallartig in den Mundraum. Er schluckte schwer, ließ sich jedoch nicht anmerken, dass er dem Mann mit der Statur eines Zehnkampfathleten am liebsten das Essen aus der Hand gerissen hätte. Nicht um es selbst zu essen, dazu wäre er nicht in der Lage gewesen – er hatte mit Allah eine Abmachung. O nein. Aus reiner Bosheit, weil der Mann essen durfte und er nicht. Statt seine Gedanken in die Tat umzusetzen, wartete er geduldig, bis er fertiggekaut und heruntergeschluckt hatte.
    »Ich glaube, ich habe das mal auf einem Fest getrunken. War nicht schlecht, wenn es das war«, sagte er schließlich und biss erneut von der Semmel ab.
    Wenn Demirbilek etwas hasste, dann Informationen, die nichts wert waren.
    »Habt ihr die restlichen Scherben gefunden?«
    »Im Brunnen ist nichts«, schmatzte der Spurensicherer und trollte sich davon.
    Demirbilek schaufelte Wasser aus dem Brunnenbecken in sein Gesicht, um sich zu erfrischen. Wie Funken einer Wunderkerze tanzten die
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