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Beverly Barton, Hexenopfer

Beverly Barton, Hexenopfer

Titel: Beverly Barton, Hexenopfer
Autoren: Beverly Barton
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Druidenprinzessin war in Grannys Adern geflossen.
    »Meine beiden Großmütter hatten das Zweite Gesicht. Es hat deine Mutter und deinen Onkel Marcus übersprungen und kam direkt auf dich, so wie es meine Mutter und ihre Geschwister ausließ und direkt auf mich kam.« Granny hatte Genny ihr einzigartiges Erbe erklärt, als sie mit sechs Jahren ihre erste Vision erlebt hatte.
    Da Genny nicht gesellig und gern allein war, neigte sie immer stärker zu einem einsamen Leben hier in dem soliden alten Haus, in dem sie und Jacob unter Grannys liebevoller Fürsorge aufgewachsen waren.
    Sie nahm den schweren Wintermantel vom Kleiderständer auf der geschlossenen hinteren Veranda und ging zur Tür. Der Abendwind pfiff um die Ecke und schnitt wie tausend eisige kleine Klingen in ihre Haut. Rasch schlüpfte sie in den Mantel, kramte in den Taschen nach ihrer Mütze und den Handschuhen und zog sie an. Sobald sie auf den Hof hinter dem Haus trat, kam Drudwyn aus dem Wald gerannt, der die Lichtung umgab. Auf diesem halben Morgen Land hatte ihr Urgroßvater ein Zuhause für seine Familie errichtet.
    »Warst du wieder bei deiner Freundin?«, fragte Genny, bückte sich und strich dem großen Hund über Kopf und Rücken.
    Er schaute mit den Augen eines Wolfs zu ihr auf, mit den Augen seines Vaters. Sie wusste, dass er sie eines Tages verlassen würde, um mit dem Wolfsrudel zu ziehen, das hoch oben in den Bergen lebte. Sie hatte keine Vision gehabt, dass Drudwyn sie verlassen würde, aber sie hatte es in letzter Zeit häufig gespürt, wenn sie miteinander sprachen. Eine ihrer Fähigkeiten war die seltene Gabe, mit Tieren kommunizieren zu können. Dabei führte sie keine richtige Unterhaltung mit den Tieren; sie spürte lediglich, was sie dachten und fühlten, und anscheinend war es umgekehrt genauso.
    »Ich muss nach den Generatoren sehen«, sagte Genny. »Heute Abend wird wahrscheinlich der Strom ausfallen, und ich kann die Gewächshäuser nicht ohne Energieversorgung lassen.«
    Drudwyn lief neben ihr her, während sie wie üblich den Generator und die Gewächshäuser überprüfte. Ihr Lebensunterhalt hing von diesen Gewächshäusern ab, in denen sie besondere Blumen und verschiedene Kräuter anbaute, die vor Ort und über Versand ins ganze Land verkauft wurden. Ihre Büsche und Bäume hatte sie noch nicht in den Versand aufgenommen, hoffte jedoch, in nächster Zukunft damit beginnen zu können. Den Winter über konnte sie mit Wallace alles bewerkstelligen, doch mit Anbruch des Frühlings musste sie jedes Jahr ein Dutzend Teilzeitkräfte einstellen.
    Wallace kam jeden Tag aus Cherokee Pointe heraufgefahren, bis auf Sonntag und Montag. Heute war er nicht gekommen, denn heute war Montag. Wallace war ein Angestellter, den sie von Granny übernommen hatte. Der alte Mann arbeitete schon in der Baumschule, solange Genny zurückdenken konnte. Die Leute innerhalb und außerhalb des Countys hatten Wallace, weil er »schwer von Begriff« sei, ebenso unfreundlich und grausam behandelt wie Granny, die man für »hellseherisch« hielt. Es spielte keine Rolle, dass Wallace der jüngere Bruder von Farlan MacKinnon und die Familie MacKinnon eine der beiden wohlhabendsten Familien in der Gegend war. Mr Farlan hatte schon vor langer Zeit den Versuch aufgegeben, seinen geistig behinderten Bruder unter Kontrolle zu halten, und ließ ihm einfach freien Lauf. Wallace hatte immer gern für Melva Mae Butler gearbeitet.
    Genny hob einen Armvoll Holz vom großen Stapel auf der Rückseite des Hauses und trug ihn hinein zum Kasten auf der hinteren Veranda. Wenn der Strom ausging – und das würde er, wie immer bei richtig schlechtem Wetter –, würde sie sich auf die Kamine und die Holzöfen verlassen müssen, damit es im Haus warm war. Die Generatoren waren ausschließlich für die Gewächshäuser.
    Plötzlich, gerade als sie den Arm aus dem Mantelärmel zog, überkam sie ein überwältigendes Gefühl der Vorahnung. Sie spürte die Gegenwart eines anderen. Eines Mannes. Eines großen Mannes mit hellen Haaren. Sie schüttelte den Kopf, um die eigenartigen Gedanken zu verdrängen. Versuchte sie gerade, sich den Mörder vor Augen zu führen, den Mann, der die arme kleine Susie Richards umgebracht hatte?
    Da Genny auf der hinteren Veranda stehen blieb, schnüffelte Drudwyn besorgt an ihrem Bein. Genny schloss die Augen und ließ die Vision zu, in voller Stärke, umgeben von strahlendem Licht und nicht von dunklen Schatten wie die Vision am Morgen. Klares, weißes
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