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BETA (German Edition)

BETA (German Edition)

Titel: BETA (German Edition)
Autoren: Rachel Cohn
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Erste erloschen. Zwar ist es meine Pflicht, immer für ihre Unterhaltung zu sorgen und bei ihr keine Langeweile aufkommen zu lassen, aber mein Chip teilt mir mit, dass Menschen manchmal eine Auszeit fürs Relayen brauchen. Deshalb betrachte ich stattdessen die unter uns vorübergleitende Landschaft mit ihren hohen Palmen, unter denen sich Luxusvillen verbergen, den türkisfarbenen Lagunen und Gärten voller blühender Jakarandabäume, den Lilien, Passionsblumen, Dahlien, Orchideen und Hibiskussträuchern. Dahinter liegt still und friedlich das Meer von Ion. In der entgegengesetzten Richtung sehe ich in der Ferne smaragdgrün bewaldete Berge emporragen, die höchsten Erhebungen der Insel. Mein Chip sendet mir die Information, dass da ein dichter, wilder Dschungel liegt und dass sich dort Dr. Lusardis Forschungsgelände verbirgt, der Ort, an dem ich erschaffen wurde.
    Ich war noch nie außerhalb von Demesne, deshalb kann ich natürlich keine Vergleiche ziehen, aber auch ohne dass mein Chip mir das jetzt mitteilt, wüsste ich wahrscheinlich, dass diese Insel ein Paradies ist, ein Ort, wie er schöner nicht sein könnte. Jeder Atemzug in der seidigen Luft fühlt sich an, als würde mir warmer Honig süß die Kehle hinunterfließen. Die Fülle der Farben – das Violettblau des Meeres, das üppige Grün der Sträucher und hohen Bäume, die überall blühenden Blumen in strahlendem Rosa, Gelb, Orange, Rot, Purpur und Gold – ist für die Augen ein wahrer Rausch.
    In mir brodelt es vor Begeisterung, das Gegenteil zur Ängstlichkeit, die ich bei meiner Trennung von Becky empfunden habe. Ich habe jetzt eine Besitzerin, und wir sind unterwegs zu meinem neuen Heim, das sich an einem der schönsten Orte der Erde befindet. Was wird mein neues Leben alles für mich bereithalten?
    Die Antwort darauf erscheint auf Mrs Brattons Relay Screen und sie seufzt. »Ach, Engel! Der Governor scheint darüber nicht sehr glücklich zu sein.«
    Mein Interface lässt in meinem Gehirn das Bild eines stattlichen kahlköpfigen Mannes in einer Uniform aufblitzen, dessen Brust mit vielen Orden geschmückt ist. Ich erhalte die Information, dass es sich bei ihm um einen pensionierten General handelt, der nun der Chief Executive Officer der Insel ist, eingestellt vom Aufsichtsrat von Demesne.
    »Woher kennen Sie den Governor?«, frage ich Mrs Bratton.
    »Er ist mein Mann, Dummerchen.«
    Ich vermute, das erklärt auch die beiden Bodyguards, obwohl es mich trotzdem verwirrt, dass die Menschen selbst an einem so friedlichen und vollkommenen Ort noch mehr Sicherheit brauchen. Aber ich stelle solche Dinge nicht infrage. Ich bin nur ein Klon, und eine Beta noch dazu.
    »Warum heißt er denn ›Governor‹?«, frage ich Mrs Bratton.
    »Ein Spitzname, Schnuckelchen. Noch aus den Kolonialzeiten. CEO klingt irgendwie so … langweilig .«
    »Verstehe, Mrs Bratton«, sage ich. Auch wenn es nicht stimmt. Bereits in meinem ersten Orientierungskurs, kurz nach meiner Erschaffung, brachte man mir bei, immer diese Floskel zu gebrauchen, wenn sich im Gespräch mit Menschen ein Schweigen anbahnt. Ob ich es wirklich verstanden habe, ist dabei unwichtig.
    »Nenn mich nicht Mrs Bratton. Das klingt so formell.«
    »Wie soll ich Sie dann nennen?«, frage ich Mrs Bratton.
    »Nenn mich Mutter.«

Zweites Kapitel
    A ls ich das erste Mal die Augen aufschlug, hätte ich mit ›Mutter‹ noch nichts anfangen können. Ich hatte den typischen Blackout der neu erschaffenen Klone, kein Wissen mehr. Nur ein paar sprachliche Grundbegriffe und Worthülsen waren mir von meiner First geblieben, aber ohne jeden Bezug zur Welt.
    Das Erste, was ich sah, als sich meine Lider blinzelnd öffneten, war ein Gesicht, das ich später mit dem Namen Dr. Lusardi zu verbinden lernte. Sie beobachtete, wie ich erwachte. Meine Wahrnehmung war noch verschwommen, aber die Farben waren so kräftig, dass ich den Blick automatisch auf sie richtete. Eine Mähne roter Korkenzieherlocken umrahmte ihr blasses Gesicht mit den rötlichen Sommersprossen und den blutroten Augen. Sie trug einen weißen Laborkittel. Hinter ihr hörte ich das Summen von Apparaten, schrilles Piepsen, eine wahre Symphonie gedämpfter elektronischer Geräusche, die für mich keinen Sinn ergaben.
    Wenn ich es gekonnt hätte, dann wäre ich mit einem Satz vom Tisch gesprungen und davongerannt – schnell, mit energischen Schritten. Aber es war nicht möglich. Erst später begriff ich, was mir in meinem ersten wachen Moment widerfahren war, als
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