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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Autoren: Ulrich Ritzel
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wenig in die Knie gehen, sie tut das in einer fließenden, fast tänzerischen Bewegung. Dabei lächelt sie den Musiker an, der nickt und lächelt zurück, und als Karen sich wieder aufrichtet und sich kurz umsieht, ist ein Widerschein des Lächelns noch immer auf ihrem Gesicht.
    Unter der Arkade ist niemand in einer grau-beigen Windbluse zu sehen, Karen geht weiter, sieht sich aber an der Straßenecke noch einmal um, für einen Augenblick verweilt ihr Blick auf einer stämmigen Frau mit Brille, die an einer Bushaltestelle wartet und von der sie plötzlich ganz sicher ist, dass sie feste Schnallenschuhe tragen muss – warum glaubt sie das? Dann weiß sie es: In der Schule hatte sie eine Französischlehrerin mit einer solchen Brille, und die trug Schnallenschuhe, jedenfalls erinnert sich Karen so.
    I n dem Café war es, wie sie es sich gewünscht hatte: nicht allzu voll und vor allem ruhig, sie hatte nicht einmal ihren Gedanken übers Schreiben nachhängen müssen, sondern sich an einem kräftigen Espresso gefreut und beschlossen, sich als Nächstes bei ihrer Freundin – der Buchhändlerin – mit einem möglichst dicken Wälzer einzudecken und sich danach für die nächste Zeit ins Schneckenhaus des Lesens zurückzuziehen. Dann hätte sie auch kein Problem damit, wenn Stefan wieder einmal Konferenzen und Besprechungen bis tief in den Abend hinein haben sollte.
    Inzwischen hat sie den Weg zur U-Bahn eingeschlagen, sie geht mit raschen Schritten und ist fast schon am Eingang zur Station Französische Straße, als ihr beim Anblick einer langgestreckten spiegelnden Fassade einfällt, dass hier die Berliner Niederlassung der Galeries Lafayette angesiedelt ist, und nun kann sie doch der Versuchung nicht widerstehen. Womöglich gibt es ja wirklich eine französische Entsprechung zum Landhausstil, vielleicht würde sie sogar etwas für Stefan finden – redet er nicht die ganze Zeit schon von einem Chalet in der Haute Provence? Sie betritt die Galeries und bereut es gleich wieder, denn sie hat eine Aversion gegen die Atmosphäre der Kaufhäuser und Einkaufstempel, genauer: gegen die klimatisierte Luft, die ihr irgendwie parfümiert oder aromatisiert vorkommt. Trotzdem findet sie sich auf einer der Rolltreppen wieder, die nach oben führen, sie blickt nach oben in die Kuppel, was erwartet sie dort? Sie wendet den Blick ab und nach unten, die bebrillte Frau, die soeben den Eingangsbereich betreten hat, sieht aus dieser Perspektive noch plumper aus als zuvor, kein Zweifel, dass sie Schnallenschuhe tragen muss, es kann gar nicht anders sein …
    Was ist hier los? Karen fragt sich das mit einer fast heiteren, fast unbeteiligten Neugier. Offenbar gibt es unsichtbare Fäden, mit denen sie an allerhand merkwürdige Leute gebunden ist, so dass diese ihr folgen müssen wie die scheppernden Blechdeckel dem Hochzeitsauto. Sie kümmert sich nicht weiter darum, was ein Landhausstil in französischer Manier sein könnte, sondern nimmt die nächste Rolltreppe und verlässt zügig, aber auch ohne Hast das Kaufhaus. Sie entscheidet sich, jetzt nicht zum Parkhaus zurückzugehen, vor allem deshalb nicht, weil sie keine Lust hat, in einem schlecht beleuchteten Parkdeck nach ihrem Auto zu suchen und nicht zu wissen, ob irgendwo im Halbdunkel die Frau mit den Schnallenschuhen hinter ihr hertappt …
    An der Kreuzung biegt sie in die Französische Straße ab und geht, mit den gleichen raschen Schritten wie zuvor, bis sie zu einer Apotheke kommt und dort eintritt. Vor ihr warten bereits mehrere Kunden, ältere Leute, die Menschheit ist hinfällig, und umständlich ist sie auch. Karen hat es nicht eilig, es kommt ihr gerade recht, hier ein wenig zu bleiben, trotzdem wirft sie einen genervten Blick zur Decke. Aus den Auslagen für die Selbstbedienung sucht sie sich eine Nachtcreme heraus, ein Heftpflaster und zwei Packungen Vitamintabletten. Nichts davon braucht sie wirklich. Nach einer Viertelstunde kann sie bezahlen und verlässt die Apotheke wieder, die Plastiktüte mit ihrem Einkauf in der Hand.
    Vor dem Schaufenster der Apotheke bleibt sie kurz stehen, als hätten ihr die Plakate mit den Warnungen vor den Folgen des Bluthochdrucks und den Empfehlungen zur Behandlung von Prostataleiden doch etwas zu sagen. Dann dreht sie sich wieder um, mit einem raschen Blick auf die Passanten links und rechts von ihr, und setzt schließlich ihren Weg fort. Eine Fußgängerampel schaltet auf Grün, als sie eben an dem Übergang ankommt, und so wechselt sie
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