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Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)

Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)

Titel: Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)
Autoren: Jonas Winner
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Gelbes Licht. Gelbe Wellen. Dunkelgelb, hellgelb, zitronengelb, grellgelb, weißgelb, mit schwarzen Kernen, die ihrerseits platzen und blaue Eruptionen abstoßen, von denen sich wiederum hellblaue Wölkchen lösen, die in das Gelb einfließen, das alles überstrahlt.
    Claire hat den Kopf in den Nacken gelegt, ihr Mund steht offen und sie starrt nach oben. Sie trägt einen Helm und klammert sich an Frederik fest, der das Motorrad fährt. Sie will ihn bitten anzuhalten, will ihm die Farbenpracht, die Explosionen am Himmel zeigen. So etwas hat sie noch nie gesehen, so etwas wird es nie wieder geben!
    Und doch hält sie sich einfach nur fest, lässt den Fahrtwind ihre Haare nach hinten blasen und drückt sich an Frederiks Rücken.
    Aber … wenn der Himmel blutet und sich in Farbexplosionen auflöst … wie lange wird es noch dauern, bis alles in einem gewaltigen Strudel zusammenfließt?
    Sie presst sich an Fredriks Rücken.
    Was ist das? Geht die Welt unter?
    Die Fassaden der Häuser spiegeln die Farberuptionen des Himmels wider. Die Scheiben in den Fenstern werfen die rot-orangen Blasen zurück und immer wieder wird das Sausen, das der Fahrtwind in Claires Ohren erzeugt, übertönt von einem Hupen, Tuten, einem Quietschen von Bremsen, einem blechernen Krachen.
    Ganz Berlin scheint in Bewegung, Claire kommt es so vor, als würde jeder Motor in der Stadt zum Laufen gebracht worden sein. Als würde sich das Rattern der Kolben, das Rasen der Zylinder, das Rotieren der Reifen zu einem sich überstürzenden Konzert der Maschinentöne zusammenfinden.
    Unwillkürlich muss sie an Butz denken. Seit sie vor Frederiks Haus mit Butz noch einmal telefoniert hat, hat sie ihn nicht mehr gesprochen.
    Butz.
    Sie hat sich von ihm nicht verabschiedet.
    Sie hat ihm nichts von Frederik gesagt.
    Sie hat ihm nicht einmal gesagt, dass sie ihn verlässt.
    Was wird er denken? Wird er sie nicht suchen? Muss sie ihm nicht sagen, dass alles in Ordnung ist? Dass er sich keine Sorgen zu machen braucht.
    Sie sieht Butz‘ Gesicht vor sich, die eingefallenen Wangen, die Bartstoppeln, die kurzen, grauen Haare.
    Es tut mir leid, Butz, muss sie denken. Aber ich weiß, du kommst auch ohne mich klar. Und sie stellt sich vor, wie er in ihre Wohnung zurückkehrt, den Mantel an den Haken hängt und durch die Zimmer trottet. Auf der Suche nach ihr und zugleich schon durchtränkt von der Gewissheit, dass sie nicht mehr da ist.
    Da hört sie es neben sich Dröhnen, Grollen und Rasseln - und als sie den Kopf zur Seite wendet, sieht sie, wie ein weiteres Gebäude, an dem sie vorbeirasen, in sich zusammenfällt.
    Es ist nicht das erste. Nicht das zweite. Es ist der gesamte Straßenzug.
    Eine Kette von Katastrophen, die auf Claire wirkt wie eine grandiose Inszenierung, punktgenau gesteuert für Frederik und sie, die auf dem Motorrad die breite Straße entlangschießen. Denn wann immer ein Gebäude in sich zusammenrutscht, tut es das in genau dem Moment, in dem sie es passieren. Miets- und Bürohäuser, steinerne Fassaden von fünfzehn, zwanzig Metern Höhe, die in sich zusammenfallen, als hätte ein begabter Sprengmeister sie perfekt verkabelt. Ja, als würde der Meister immer dann seinen Knopf drücken, wenn sie gerade auf der Höhe des zu sprengenden Hauses sind.
    „Frederik?“ Claire brüllt aus vollem Hals, um sich gegen den Lärm, den Fahrtwind, das Dröhnen der einstürzenden Bauten durchzusetzen.
    Aber er scheint sie nicht zu hören.
    Lass uns kurz anhalten, es ist so schön, denkt sie.
    Doch Frederik fährt einfach immer weiter, fädelt sich in einen Kreisverkehr ein, schaltet mit dem Fuß, beschleunigt aus dem Handgelenk … und Claire legt sich mit ihm in die Kurve.
    Da beginnt der Himmel auf sie herabzuregnen. Die gelben Schlieren haben sich dunkelblau verfärbt und pladdern auf sie herunter.
    Fredrik auf dem Sattel vor ihr scheint zusammenzuschmelzen zu einem stahlblauen Keil, der wie verwachsen mit seiner Maschine über den Asphalt hinwegjagt. Für einen Moment hat Claire den Eindruck, als säße sie schon gar nicht mehr hinter ihm auf dem Sattel, sondern als würde sie darüber schweben, ihn allein weiterrasen sehen … während sie selbst sich hinaufhebt in die Luft, weit über die Straße und die Häuser hinaus.
    Immer weiter steigt sie auf in die von den blau-schwarz glänzenden Schlieren durchzogene Luft, hinauf auf den Spalt im Himmel zu, der sich inzwischen schon fast über das ganze Gewölbe ausbreitet.
    Bis sie darin eintaucht.
    Es ist der
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