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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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du nicht überzeugen. Wenn du es nicht warst, wird die Polizei das schon herausfinden.“
    „Kacke, nein. Ich hab eine Tonne Spuren hinterlassen, meine Fußabdrücke, Klamottenfasern. Ich hab sogar die Leiche vollgespeichelt, als ich es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versuchte. Mann, ich bin ein vorbestrafter Knacki, die Geschichte hier glaubt mir kein Mensch.“
    „Da wär ich mir nicht so sicher“, sagte Parchim. „Mich hast du schon mal überzeugt.“
    „Echt?“
    „Ja. Du siehst aus wie ein Penner. Vermutlich ziehst du hin und wieder mal gerne einen durch und klaust Omas die Handtaschen, um über die Runden zu kommen.“
    „Ja, ja genau.“ Sirin schlug die Hände wie zum Gebet vor seiner Brust zusammen. „Ich bin harmlos, ein kleiner Fisch. Ich will nicht wieder in den Bau für nix und wieder nix.“
    „Verstehe ich nur zu gut. Aber leider kann man einem Hund nicht ansehen, ob er nachts in die Wohnung kackt, wenn du verstehst, was ich meine. Die schlimmsten Verbrecher haben die harmlosesten Visagen.“
    „Ach kommen Sie, Mann, vertrauen Sie Ihrem Instinkt. Bitte, öffnen Sie die Tür.“
    „Das würde ich gerne, wirklich. Aber das kann ich leider nicht, Kumpel.“
    Sirin sah erstaunt, wie Parchim seine Waffe senkte, und schöpfte trotz des bedauernden Blicks des Taxifahrers neue Hoffnung. Doch die erstarb, als der Mann ein letztes Mal Kontakt mit der Vermittlung aufnahm.
    „Zentrale?“
    „Ja?“
    „Wann kommt die Polizei?“
    „In zwei Minuten. Halte durch, Parchim.“
    „Kein Problem. Der Verdächtige ergibt sich, er ist friedlich, er …“
    Plötzlich, mitten im Satz, veränderten sich die Gesichtszüge des Taxifahrers. Seine Augen weiteten sich, der Unterkiefer sackte ab. Auf einmal wirkte der Mann völlig verängstigt.
    „Was ist?“, fragte Sirin und sah sich um. Hier war niemand in der Nähe des Autos. Sie standen ganz allein in der Einfahrt.
    „Nein, bitte nicht“, rief Parchim.
    „Was denn? Was ist denn auf einmal los mit Ihnen?“
    Dem Fahrer standen plötzlich Tränen in den Augen.
    „Bitte, ich habe Familie“, sagte er.
    2Was zum Teufel …?
    „Mit wem reden Sie?“ Sirin spürte wie seine Verwirrung in Furcht umschlug.
    „Halt, bitte, neiiiiin …“
    Die Stimme des Fahrers überschlug sich, während sein qualvoller Schrei immer lauter wurde. Das war das letzte, was Sirin hörte, bevor ihm die Kugel die Stirn durchschlug und sein Gehirn auf der Hutablage verteilte.
    Andreas Parchim wartete noch eine Weile, dann nahm er seinen Finger von der Sprechtaste.
    „Wagen 25562? Was ist los? Wagen 2556 bitte kommen, was ist da los bei dir?“
    „Ich, ich musste es tun“, keuchte er, bemüht sein Grinsen zu unterdrücken. Parchim griff unter seinen Sitz, zog eine Sporttasche hervor.
    „Großer Gott, er hat mir ein Messer an den Hals gehalten, der, der …“, stotterte Parchim. „Der … der Mistkerl wollte mich abstechen.“
    Der Taxifahrer nahm ein blutiges Leinenbündel aus der Tasche, wickelte das Tranchiermesser aus den Tüchern, mit dem er vor einer Stunde die Haushaltshilfe in der Villa abgestochen hatte, säuberte es von seinen eigenen Fingerabdrücken und drückte es Sirin in die schlaffe Hand. Dann schob er die Tasche mit dem Schutzanzug, der Maske und den Handschuhen, die er in der Villa getragen hatte, damit man ihm die Sauerei nicht sofort ansehen konnte, wieder unter den Sitz.
    „Bleib ruhig, Parchim. Nur noch eine Minute, dann ist Hilfe da.“
    „Ja. Danke. Krankenwagen … Ich glaube, wir brauchen …“
    Er hielt den Sprechknopf gedrückt und atmete schwer. Jedes weitere Wort wäre jetzt zu viel. Sie mussten glauben, dass er unter Schock stand. Später würde er noch genug Zeit haben, sich zu erklären. Zum Glück war er schon immer ein schauspielerisches Naturtalent gewesen, die polizeiliche Befragung würde ein Kinderspiel werden. Jetzt grinste er doch.
    Das traumatisierte Notwehropfer ist meine Lieblingsrolle.
    Am liebsten hätte er sich jetzt schon eine Zigarette angezündet und das Schicksal gefeiert, das ihm den Sündenbock direkt in die Arme getrieben hatte, doch das musste warten.
    „Du hattest Recht, Kumpel“, sagte Parchim mit Blick auf Sirins Leiche, während die herannahenden Polizeisirenen immer lauter wurden. „Heute warst du wirklich am falschen Ort zur falschen Zeit.“

Die Autorinnen und Autoren
    Stephan Hähnel ist Drehbuchautor und Schriftsteller.
    Seit 2005 sind vier Bände Mörderischer Kurzgeschichten entstanden. Neben der Krimilesebühne
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