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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Sadie.
    Voll panischer Angst lief Quinn wieder nach draußen und rief nach ihr, diesmal lauter. Nichts. Keine Spur von ihr. Keine Spur von irgendwem. Er sah die Asche des Feuers, über dem sie die Reste des Lamms gebraten hatten. Auf der Erde lagen einige der Knochen verstreut. In den umstehenden Bäumen krächzten die Krähen. Ein Gartenfächerschwanz hüpfte auf einem Zweig herum. Allein die Vögel konnten gesehen haben, was vorgefallen war, wo Sadie hingegangen war und mit wem. Wieder schrie er ihren Namen und horchte. Dann entdeckte er vor seinen Füßen ihre Tabaksdose. Sie war offen, und im Laub lagen eine Spielkarte, mehrere Murmeln und ein paar von den Knöchelchen. Er hob die Dose auf: Darin befand sich nur noch eine Zigarettenkarte mit dem farbigen Bild einer eleganten Frau, die einen Brief in einen Londoner Postkasten warf. Quinns Gesicht war schweißüberströmt. Wo war sie? Plötzlich begriff er: Es war Robert Dalton gelungen, sie aufzuspüren. Er hatte sie zu der Hütte auf Wilson’s Point gebracht.
    Quinn begann zu laufen, bevor er auch nur über den besten Weg dorthin nachgedacht hatte. Ganz egal, seine Beine, die unabhängig von seinem Kopf oder dem Rest seines Körpers agierten, trugen ihn Hügel hinab und durch Schluchten, die er noch nie gesehen zu haben glaubte. Er wünschte, er hätte Jim Gracies Gewehr mitgenommen, doch jetzt musste eben sein Revolver ausreichen.
    Hier und da sah er die verrosteten Skelette von Bergbaumaschinen und eingestürzte Erdwälle oder Hauswände. Eidechsen huschten über den Boden, und eine überhebliche Schar grauer Kängurus sprang davon, als er vorbeirannte. Im Laufen sprach er leise mit Sadie, um sie zu beruhigen. Ich bin bald da. Keine Sorge. Du brauchst keine Angst zu haben . Er stellte sich vor, wie die Worte von seinen Lippen strömten und sich wie Blütenblätter hinter ihm niederließen, sodass er den Rückweg finden würde, sobald er Sadie gerettet hatte. Unter dem Bart trat ein Lächeln in sein Gesicht. Er fühlte sich so lebendig wie seit seiner Kindheit nicht mehr, und die Welt um ihn herum war von einer wechselseitigen Energie erfüllt. Bald. Ich bin bald da. Halt einfach durch . Die Bäume raschelten vor Aufregung. Mit zitternden Blättern trieben sie ihn voran. Vor ihm öffnete sich das Buschland, und er überließ sich seinem Verlauf.
    Eine Viertelstunde später erreichte er Wilson’s Point. Der Wasserstand in dem nierenförmigen Stausee war niedrig. Die Hütte war dreihundert Meter von der Stelle entfernt, an der er aus dem dichten Busch kam. Bevor er vorsichtig, um nicht gesehen zu werden, durch das schlammige, flache Wasser watete, kontrollierte er seinen Revolver. Obwohl sich seine geschundene Lunge zusammenkrampfte, war er fest entschlossen, nicht noch mal stehen zu bleiben. Schon fast da . Die Aussicht, seinen Onkel gefangen zu nehmen und Sadie aus seinen Klauen zu retten, belebte ihn. Die Zukunft tauchte klarer vor seinem geistigen Auge auf als alles aus seiner Vergangenheit. Keine Sorge . Er würde sich einen Weg durch das Schilf am Ufer bahnen und über die Felsblöcke klettern. Er würde vor Mut brennen. Fast da . Er würde auf die Hütte zugehen, wie er es vor all den Jahren hätte tun sollen. Er würde die schief in den Angeln hängende Tür eintreten. Und dann würde er mit dem Revolver zielen.
    Und so geschah es auch.
    27 Als die Tür weit aufschwang, sah Quinn sofort, dass die Hütte leer war. Schmerz und Verwirrung durchzuckten ihn. Keine Menschenseele. Der Schuppen sah aus, als wäre seit jenem schrecklichen Tag vor all den Jahren niemand mehr da gewesen. Zwei Kakadus flatterten von ihrem Platz auf, kreischten im Halbdunkel und flogen durch ein im Dach klaffendes Loch davon. In der Ecke lag ein Haufen morsches Holz. Ein Farnstrauch drängte sich durch den Fußboden. Quinn stand schwer atmend da, den Revolver in der zitternden Hand. Unverbrauchtes Adrenalin schoss durch seinen Körper. Der Schuppen stank nach modrigem Holz, Spinnweben und Tierkot, nach Vergewaltigung und Mord. Wenn die Dunkelheit doch bloß sprechen könnte.
    Beschämt und erschöpft ging er in die Hocke, um Atem zu schöpfen. Seine Hosenaufschläge waren schwer von Wasser und trocknendem Schlamm. Dann sank er auf den bröckeligen Fußboden. So würde es also enden, genauso, wie es begonnen hatte: auf Wilson’s Point, mit dem Wunsch, er wäre nie geboren worden. Erst das Exil, dann der Krieg. Alles lag in Trümmern. Alles. Er legte sich hin und schluchzte.
    Wie
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