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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter
Autoren: C Link
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bist«, erklärte Keira schroff. »Willst du für den Rest deines Lebens jeden Abend vor dem Fernseher in deiner Wohnung sitzen und Trübsal blasen?«
    »Und meiner Tochter auf die Nerven gehen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Das Haus ist bedrückend«, sagte Carla. »Keiner kümmert sich hier um den anderen. Und dauernd fährt der Aufzug hier hoch zu mir, und dann steigt niemand aus.«
    Keira schien irritiert. »Wie?«
    Carla wünschte, sie hätte das nicht gesagt. »Na ja, es ist mir einfach aufgefallen. Dass es ziemlich häufig geschieht, meine ich. Außer mir wohnt hier oben ja niemand. Aber dauernd kommt der Aufzug.«
    »Dann schickt ihn irgendjemand nach oben. Oder das System ist einfach so ausgelegt. Dass er zwischendurch automatisch alle Stockwerke abklappert.«
    »Bis vor ein oder zwei Wochen war das aber nicht so.«
    »Mum …«
    »Ja, ich weiß. Ich werde langsam wunderlich, das denkst du doch. Mach dir keine Sorgen. Irgendwie kriege ich mein Leben schon in den Griff.«
    »Ganz bestimmt. Mum, der Kleine schreit ständig, und …«
    »Ich mache schon Schluss! Es wäre schön, wenn ihr mich mal wieder besuchen würdet, du und der Kleine. Vielleicht an irgendeinem Wochenende?«
    »Ich schau mal, ob das klappt«, sagte Keira unverbindlich, dann verabschiedete sie sich rasch und ließ Carla mit dem Gefühl zurück, gestört zu haben, lästig gewesen zu sein.
    Sie ist meine Tochter, dachte sie trotzig, es ist normal, dass ich sie gelegentlich anrufe. Und dass ich es ihr sage, wenn es mir nicht besonders gut geht.
    Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war erst kurz nach zehn.
    Dennoch beschloss sie, ins Bett zu gehen. Vielleicht noch ein bisschen zu lesen. Und zu hoffen, dass sie rasch einschlief.
    Sie wollte gerade ins Bad gehen, um sich die Zähne zu putzen, als sie den Aufzug wieder vernahm. Er kam nach oben.
    Sie blieb mitten im Flur stehen. Lauschte.
    Ich wünschte wirklich, irgendjemand würde hier oben außer mir noch wohnen, dachte sie.
    Der Aufzug hielt, die Türen öffneten sich.
    Carla wartete. Darauf, dass nichts sein würde. Kein Laut, nichts.
    Aber diesmal hörte sie etwas. Diesmal verließ jemand den Aufzug. Da waren Schritte. Sie vernahm sie ganz deutlich. Schritte draußen in dem vermutlich hell erleuchteten Gang.
    Carla schluckte trocken. Sie spürte ein Kribbeln auf der Haut.
    Jetzt mach dich bloß nicht verrückt! Erst hast du dich aufgeregt, weil niemand ausstieg, und jetzt regst du dich auf, weil es offenbar doch jemand tut.
    Die Schritte kamen näher.
    Zu mir, dachte Carla, da kommt jemand zu mir.
    Wie paralysiert stand sie vor ihrer Wohnungstür.
    Jemand befand sich auf der anderen Seite.
    Als die Klingel schrillte, löste sich der Bann. Die Klingel war Normalität.
    Einbrecher klingeln nicht, dachte Carla.
    Dennoch spähte sie vorsichtshalber durch den Türspion.
    Sie zögerte.
    Dann öffnete sie.

MITTWOCH, 2. DEZEMBER
    1
    Gillian ging in die Küche zurück. »Das war Darcys Mutter«, erklärte sie. »Darcy kommt heute nicht in die Schule. Sie hat eine Halsentzündung.«
    Das Läuten des Telefons hatte Becky nicht aus der Lethargie reißen können, mit der sie über ihrer Müslischüssel hing und missmutig auf Obst und Flocken starrte, die sich dort in der Milch mischten.
    Gerade eben erst zwölf Jahre alt geworden, dachte Gillian, und schon muffig und lustlos wie ein Teenager auf dem Höhepunkt der Pubertät. Waren wir nicht früher anders?
    »Hm«, machte Becky uninteressiert. Auf dem Stuhl neben ihr saß Chuck, ihr schwarzer Kater. Die Familie hatte ihn während eines Urlaubs in Griechenland als ein halb verhungertes Bündel Elend am Straßenrand gefunden und in ihr Hotel geschmuggelt. Die restlichen Ferien hatten im Wesentlichen aus dem Problem bestanden, Chuck täglich ungesehen aus dem Hotel hinaus und zum Tierarzt zu bringen und ihn hinterher wieder ebenso heimlich auf das Zimmer zu schaffen. Gillian und Becky hatten ihm stundenlang mit einer Pipette flüssige Nahrung eingeflößt, und zwischendurch schien alles dagegenzusprechen, dass er überlebte. Becky hatte nur noch geweint, aber obwohl alles so schwierig und nervenzehrend gewesen war, waren sie und ihre Mutter einander sehr nah gewesen in der gemeinsamen Sorge.
    Am Ende hatte Chucks Lebenswillen gesiegt. Er war mit seiner neuen Familie nach England gereist.
    Gillian setzte sich ihrer Tochter gegenüber an den Tisch. Nun musste sie Becky zur Schule fahren. Gemeinsam mit Darcys Mutter bildeten sie eine Fahrgemeinschaft,
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