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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Autoren: Ann Benson
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Noch zwei Wochen zuvor hätte er de Chauliac nicht getraut, doch jetzt erschien es ihm gerechtfertigt.
    »Geht«, wiederholte de Chauliac. »Geht zu meinem Haus, nehmt ein gutes Pferd und verlaßt Paris. Euer Beutel mit Gold befindet sich in meinem Studierzimmer hinter dem Buch mit den griechischen Werken, das ich Euch geliehen hatte.«
    Wohin sollte er sich wenden? Wo in dieser dunklen Welt war Sicherheit zu finden?
    »Gibt es noch Juden in Avignon?« fragte er.
    »Das denke ich«, bestätigte de Chauliac. »Die Edikte von Clemens haben großen Einfluß gehabt. Sie sollen dort ein blühendes Viertel bewohnen. Man wird Euch willkommen heißen.«
    Alejandro schwirrte der Kopf von all den Einzelheiten, die noch ausgesprochen werden wollten, ehe er ging. »Dann werde ich dort Zuflucht suchen. Wo es Juden gibt, kann man immer einen Rabbiner finden. Sendet mir durch ihn eine Botschaft!«
    »Sobald das gefahrlos möglich ist, werde ich es tun.« Mit seinen langen Armen umarmte de Chauliac den verängstigten Alejandro mitsamt dem Säugling. »Gott sei mit Euch, Kollege! Und möge Er gewähren, daß wir einander in besseren Zeiten wiedersehen!«
    Dann ließ der große Franzose ihn los und schlich um die Ecke, den Gang entlang. Alejandro spähte ihm nach und beobachtete, wie de Chauliac jene Kammer betrat und die Tür sich hinter ihm schloß. Er hörte laute, ärgerliche männliche Stimmen, als er geräuschlos daran vorbei und die Treppe hinunterhuschte. Das Baby fest in den Armen, eilte er sogleich den Hauptaufgang des Schlosses hinunter und aus dem Tor in die kalte, dunkle Pariser Nacht.

KAPITEL 36
    Janie verließ die reale Welt im köstlichen Genuß einer ihrer liebsten Phantasien, eines Traums, der bis zu diesem Augenblick, wo das Ende eben dieser Welt in greifbare Nähe rückte, niemals in Erfüllung gegangen war. Mit einem Cop im Auto hatte sie endlich die Freiheit, so aufs Gaspedal zu drücken, wie sie es sich immer gewünscht hatte – wie irgendein verrückter Rennkuckuck, dem nur der Wind folgen kann. Nicht, daß die Polizei von Westmassachusetts sich in dieser Nacht mit Verkehrssündern abgegeben hätte, die zu schnell fuhren – sie hatten dringendere Aufgaben, als einen uralten Volvo zur Seite zu winken, der auf seiner letzten Reise vor der Pensionierung noch einmal seine Grenzen erprobte. Das ehrwürdige Vehikel würde seinen Ruhestand unter einem Tarnnetz in den Wäldern von Neuengland verbringen, den Tank geleert, als archaisches Symbol dafür, wie die Welt früher einmal ausgesehen hatte: verläßlich, widerstandsfähig, ewig. Während die Bäume an ihr vorbeirasten, fiel Janie ein, daß im Player noch immer eine CD von Maria Callas steckte und die sie herausnehmen sollte, bevor sie den Wagen ins Abseits stellte.
    Ohne die möchte ich nicht vom Angesicht der Erde verschwinden.
    Herrje, gibt es sonst noch was, das ich vergessen habe? Ganz bestimmt.
    Mit aufgeblendeten Scheinwerfern und fast dreißig Meilen schneller als erlaubt raste sie auf der schmalen Landstraße der nächsten Phase ihres Lebens entgegen. Michael saß neben ihr auf dem Beifahrersitz, Caroline hinten. Es war eine Zeit, in der man schluckte und zitterte, eine Zeit, in der man sich fragte, was man tun sollte, und »Ab in die Wälder« schien die beste Antwort auf einer kurzen Liste jämmerlicher Optionen.
    Sie passierten abgedunkelte Häuser, am Straßenrand zurückgelassene Autos, aus dem Unterholz hervorleuchtende rote Augenpaare. Sie waren weniger als zwanzig Meilen von der Sicherheit entfernt, als im Scheinwerferlicht plötzlich ein kleines Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren auftauchte. Als sie sie erblickten, saß sie auf einem Stein am Straßenrand, ungekämmt und spindeldürr; doch sobald sie sie sah, begann sie auf dem Stein hektisch auf und ab zu springen und die mageren Arme zu schwenken. Ihre Bewegungen wirkten mechanisch, als habe jemand hinter ihr auf einen Knopf gedrückt, um sie in Gang zu setzen.
    Daher fuhr Janie an ihr vorbei. Doch selbst in der Dunkelheit hatte sie den leeren, verzweifelten Ausdruck der Ausbruchszeit auf dem Kindergesicht bemerkt, und das rüttelte an ihrem Herzen. Sie verlangsamte und schaute in den Rückspiegel.
    Verzagt sah sie ihre Mitflüchtlinge an. »Was sollen wir jetzt machen?« flüsterte sie.
    »Fahr weiter«, befahl Michael auf dem Beifahrersitz.
    »Aber sie ist ein Kind«, klagte Caroline, »und wir haben Mitternacht, mein Gott!« Sie beugte sich vor und legte eine Hand auf die
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