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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Anne Bishop
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töricht, Angst vor der Dunkelheit zu haben, wenn sie sich zuvor noch nie gefürchtet hatte. Heute Nacht hatte sie Angst vor der Dunkelheit.
    Sie holte tief Luft, und als sie zitternd wieder ausatmete, hätte sie fast aufgeschluchzt. Sie trat in den Dienstbotenweg und eilte dem Licht am anderen Ende entgegen, ein Flüstern auf den Lippen: »Herrinnen der Weißen Insel, haltet das Licht über mich. Herrinnen der Weißen Insel, haltet das Licht über mich.«
    Auf halbem Wege, gerade außerhalb der Reichweite des Laternenlichts, hörte sie, wie sich etwas bewegte. Bevor sie weglaufen konnte, bevor sie aufschreien konnte, wurde sie von etwas gepackt, herumgewirbelt und gegen die Backsteinmauer des Gebäudes gedrückt. Eine Hand hielt ihr den Mund zu.
    Eine schnelle Bewegung. Ein reißendes Geräusch, gefolgt vom Biss der frostigen Luft, dort, wo ihr Mantel auf einmal offen stand. Gefolgt von einem seltsamen, zittrigen Gefühl, als Haut und Muskeln in ihrer Seite plötzlich aufrissen.
    Herrin des Lichts, beschütze mich. Hilf mir!
    Während der wenigen Augenblicke, die ihr Körper brauchte, um den Schmerz zu realisieren, hatte das Messer sich bewegt. Ruhte jetzt auf ihrem Wangenknochen, die Spitze ritzte in die Haut unter ihrem linken Auge.
    »Schrei«, flüsterte eine sanfte Stimme, »und ich steche dir das Auge aus. Sag mir, was ich wissen will, und ich lass dir dein hübsches Gesicht.«
    Die Hand, die ihr den Mund zuhielt, bewegte sich. Schloss sich um ihre Kehle.
    »Bitte, tu mir nicht weh«, sagte Erinn, zu ängstlich, um mehr zu tun, als zu flüstern.
    Ein Mann. So viel konnte sie sagen, doch es war nicht hell genug, um sein Gesicht zu erkennen.
    »Sag mir, was du vor dich hingeflüstert hast«, sagte er. »Über die Weiße Insel. Über das Licht.«
    »Bitte, lass mich gehen. Bitte tu mir nicht -«
    »Sag es mir.«
    »D-die Weiße Insel ist der Hafen des Lichts. Alles Licht, das Elandar vor der Dunkelheit schützt, ist dort verwurzelt.«
    »Und wo ist die Weiße Insel?«
    Sie zögerte einen Augenblick - und spürte, wie sich das Messer in die zarte Haut unter ihrem Auge bohrte. »N-Norden. Eine Insel vor der Ostküste. Oben im Norden.«
    Der Griff um ihre Kehle lockerte sich. Das Messer strich ihr über die Wange, schnitt sie aber nicht, als er einen Schritt zurücktrat.
    »Wer bist du?« Dumme Frage. Je weniger sie jemandem über ihn erzählen konnte, desto sicherer würde sie sein.
    Er lächelte. Noch immer konnte sie sein Gesicht nicht sehen, doch sie wusste, dass er lächelte.
    »Der Weltenfresser.«
    Er würde es ihr also nicht sagen. Das war gut. Er würde gehen, und sie würde in Sicherheit sein. Sie war schwer verletzt. Das wusste sie. Doch es war nur ein Schritt, vielleicht zwei, und sie würde im Licht stehen, im herrlichen Licht. Ihre Beine fühlten sich kalt und schwach an, doch sie könnte das Ende des Durchgangs erreichen, sich auf der Hauptstraße in Sicherheit bringen. Jemand würde sie sehen und ihr helfen. Jemand würde Torry holen, und alles würde gut werden. Sie würden heiraten, sobald die Erntezeit vorüber war und -
    Sie sah, wie er das Messer hob. Und sie schrie.
    Dann stieß er die Klinge in ihre Brust und nahm ihr den Atem und die Hoffnung. Nahm ihr das Leben.
     Rufe erklangen, und Stiefel schlugen auf die Pflastersteine, als die Männer in den Dienstbotenweg rannten.
    Der Weltenfresser hatte Seine natürliche Gestalt angenommen und floss unter den Steinen dahin, nichts weiter als ein flackernder Schatten. Ein Mann stolperte, als Er unter seinen Füßen hindurchfloss, und Er hinterließ einen Schatten in seinem Herzen, während Er vorüberzog.
    Dann hielt Er an, als der erste Mann, der das Mädchen erreichte, schrie: »Erinn! Nein!«
    Er folgte dem Weg, den der tiefe Schnitt der Trauer und des Entsetzens über den Anblick seiner Hände, getränkt im Blut des Mädchens, Ihm öffnete. Im Geiste streckte er seine Tentakel aus, drang in den Verstand des Mannes ein und flüsterte: Sie war deinetwegen hier im Dienstbotenweg. Das hier hat sich deinetwegen zugetragen.
    »Nein!« Doch da war etwas - ein winziges Samenkorn des Zweifels, ein Hauch ahnungsloser Schuld. Gerade genug Boden, um dem Samenkorn Halt zu bieten.
    Ja, flüsterte Er und legte all seine dunkle Überzeugung in das Wort. Das hier ist nur deinetwegen geschehen.
    Er zog sich zurück, sicher, dass Seine Worte Wurzeln schlagen und sich zu einer schwärenden Wunde entwickeln würden. Sie würden das Licht des Mannes schwächen, es
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