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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Alex Gilvarry
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ich, dass auch Queens seine eigene, schmuddelige Schönheit besaß. Das Taxi näherte sich einer kleinen Brücke mit unaussprechlichem Namen, und da zu meiner Linken 3 lag es: Manhattan. Die Skyline, die ich beim Landeanflug über die Tragfläche der leicht geneigten Maschine hinweg erspäht hatte. Die Skyline, die ich mein Leben lang im Fernsehen und im Kino gesehen hatte. Ein Symbol meiner Modeträume und ein Symbol für Amerika und seine finanzielle Leistungsfähigkeit. Eine Skyline, die mir zurief: »Komm und hol’s dir, Kleiner!«
    Mein Cabbie fuhr mich hinein. Jedes Schlagloch war ein Lockruf. Ich verfolgte unseren Weg mit dem Finger auf der Karte, während wir die Williamsburg Bridge überquerten. Und dann … »Delancey Street«, rief mein Fahrer, »wo man betrunkene junge Leute einsammelt.« Er kannte sich hervorragend aus und zeigte mir im Vorbeifahren die Stadtteile. Chinatown, Little Italy, SoHo, City Hall. »Zum ersten Mal in der Stadt?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete ich. Mir war schwindelig.
    »Immer den Kopf hoch und die Augen auf«, sagte er. »Dann passiert Ihnen nichts.«
    Wir waren Downtown, auf dem Broadway, und fuhren an der nördlichen Spitze ins Bankenviertel. Fulton, Church Street, Maiden Lane. Überall um mich herum Häuser. Ich sah den Himmel nicht mehr. Statt nach außen wuchs die Stadt immer weiter in die Höhe.
    Zu meinem Erstaunen hatte der Battery Park gar nicht die Form einer Duracell Alkaline. Und auch von all den Dingen, die ich in Filmen über die dunkle Seite New Yorks gesehen hatte – Obdachlose, Drogen, Graffiti, Raubüberfälle, Morde oder Rassenkonflikte –, war hier keine Spur. Ich sah meinen ersten New Yorker Penner, ausgestreckt auf einer Parkbank. Aber er bettelte nicht. Er hörte auf seinem kleinen Radio Musik und stützte sich auf ein Wägelchen voller Flaschen und Dosen. Arbeitskollegen machten zusammen Mittagspause – Männer und Frauen hinter dunklen Sonnenbrillen, die miteinander flirteten. Schwarze Frauen hielten weiße Babys im Arm, weiße Frauen asiatische Babys und Asiatinnen europäische Babys. All die verschiedenen Amerikaner mit ihren Müttern! Ich eilte mit meinem Gepäck vorbei, zum Wasser. Der Hafen von New York. Einatmen . Der Fluss war ein blaugrüner Sumpf. Ich sah zu, wie sich ein Wassertaxi mit einem Schlepperkahn anlegte, während sich von hinten die Staten-Island-Fähre näherte – die John F. Kennedy – und aus beiden Kleinholz zu machen drohte. Ich lehnte mich über das Geländer, um Lady Liberty zu sehen. Sie trug Trauer. Ein schwarzer Schleier bedeckte ihr Gesicht. 4 Und trotzdem reckte sie ihre Fackel empor, unbedeckt, als würde sie eine Flotte in eine Schlacht fernab des industriellen New Jersey führen. Ich schloss die Augen und lauschte dem aufgewühlten Wasser. Ich beugte mich immer weiter vor, bis meine Füße vom Boden abhoben und ich mich allein mit Händen und Hüfte über dem Geländer im Gleichgewicht hielt und mich schwebend dem Hafen hingab. Ein Nebelhorn ertönte in der Ferne, wo nichts als klarer Himmel zu sehen war.
    Ich lauschte.
    Um der Anschaulichkeit willen – um Ihnen ein Bild des Fashion-Terroristen in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr zu zeichnen: Ich bin 1,55 Meter groß und zierlich gebaut. Zu jener Zeit war ich in körperlicher Bestform. Ich machte Fortschritte im Yoga. Ich konnte fünfzehn Minuten lang auf dem Kopf stehen, zwanzig Sonnengrüße machen und mich immer noch in Virabhadrasana I halten. 5
    Das ist der Mann, der ich war .
    Ich trug mein Haar stets kurz und rasierte mir links einen falschen Scheitel bis in die Augenbraue, in der klassischenManier der Hip-Hop-Künstler der Achtziger. Meine Nike High-Tops fügten meiner kleinen Statur drei, vier Zentimeter hinzu, aber lassen wir diese Eitelkeiten und bleiben bei den nackten Tatsachen. Ich bin ein kleiner Mann! Selbst für einen Filipino bin ich klein, ein Volk, das bekannt ist für seinen schmächtigen Körperbau. Ich wurde schon oft für ein zu groß geratenes Kind mit Schnauzbart gehalten.
    Da war ich also, mit geschlossenen Augen auf das Geländer gestützt. Ich höre noch den Wind vom Hafen, die Kinderstimmen, die von einem nahegelegenen Spielplatz herüberwehten, und das Rascheln in den Bäumen, gerade mal ein Dezibel lauter als das Gewusel der Stadt. Ich träumte davon, wie ich in einer der kommenden New Yorker Saisons mit meiner eigenen Kollektion für Furore sorgen würde. Sie würde Wellen schlagen bis nach London, Paris und Mailand. Mein
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