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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Alex Gilvarry
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Plastikfläschchen Öl (Patchouli). Mit all dem kann ich absolut nichts anfangen, denn wie ich schon hundertmal gesagt habe: Ich bin kein Moslem! Ich bin katholisch getauft, mehr aber auch nicht.
    Der Mann, der mich von 6.00 bis 18.00 Uhr bewacht, kommt aus Fort Worth, Texas. Ich habe noch nie zuvor einen Texaner kennengelernt. Er heißt Win. Ich frage mich, ob das sein richtiger Name ist oder ein Nom de Guerre. Win.
    Ich habe hier drinnen selbst einen Nom de Guerre: Häftling Nr. 227.
    Win will Anwalt werden. Er ist noch ziemlich jung, gerade mal zwanzig, und hat einen Associate’s Degree in Wirtschaft. Er plant, nach Fort Worth zurückzugehen, das College abzuschließen und sich mit dem Rest seines GI-Stipendiums an der juristischen Fakultät einzuschreiben, um die Verfassung zu studieren und in Scheinverhandlungen Fälle durchzuspielen.
    »Scheinverhandlungen?«, fragte ich.
    »Ja, Scheinverhandlungen. Keine echten«, sagte er. »Das machen sie im Jurastudium, um einen auf die echten Verhandlungen vorzubereiten. Es gibt einen Richter und zwei Anwälte, genau wie im richtigen Leben, und man verhandelt den Fall, so gut man kann. Klar ist das alles nur gespielt, aber man weiß nicht, wie es ausgeht. Keiner weiß das, darum wirkt es auch so echt. Es kommt aber niemand ins Gefängnis oder so. Danach gehen alle wieder nach Hause.«
    »Was sind das für Fälle?«
    »Alle möglichen, nehme ich an. Strafsachen, Morde, Zivilprozesse, alles.«
    »Und jeder bekommt einen fairen Prozess?«
    »Ja klar. Aber es ist nur Spiel. Es hat ja in Wirklichkeit keiner was getan bei diesen Verhandlungen. Das ist nur zum Üben.«
    »Ich war noch nie in Texas«, sagte ich.
    »Lohnt sich auch echt nicht. Auch wenn es hier eine Menge Jarheads gibt, die Ihnen was anderes sagen würden.«
    »Nennt man die Texaner so?«
    »So nennt man die Marines. Jarheads, Grunts, Ledernacken. Texaner sind Texaner.«
    »Ledernacken.«
    »Sagt aber keiner mehr.«
    Der Mann, der Win um 18.00 Uhr ablöst, heißt Cunningham. Er stammt aus einem Ort namens Government Mountain in Georgia. Cunningham ist nicht gerade eine Plaudertasche. Er ist ein echter Jarhead, groß und mürrisch. Die meiste Zeit sitzt er auf seinem Stuhl, die Füße an meiner Zellentür, wippt auf den hinteren Stuhlbeinen und liest in irgendeiner Zeitschrift. Alles, was ich mache, wird in einem Buch festgehalten. Es liegt neben Cunningham auf einem Tischchen. Er schreibt alles auf, was ich die Nacht über tue. Wann ich schlafe. Wann ich esse. Auch wenn ich mich hinhocke, wird das notiert.
    Er beherrscht es hervorragend, so zu tun, als wäre ich nicht da. Stundenlang kann er dasitzen und eine Zeitschrift nach der anderen durchblättern.
    Neulich Abend, als ich auf dem Bett lag und zusah, wie Cunningham eine Maxim las, erhaschte ich auf dem Cover einen Blick auf meine Vergangenheit. Es war Olya. Meine liebste Olya, die einst so unbefangen das Bett mit mir geteilt hatte und mir über die Jahre eine gute Freundin bleiben sollte. Ich konnte nicht glauben, dass sie es wirklich war. Olya ist für alle großen Designer gelaufen – Marc Jacobs, Carolina Herrera, Lanvin in Paris, Burberry in London –, und jetzt saß sie in einem billigen Lacklederbikini breitbeinig auf der Motorhaube eines geflammten Pontiac. »The Red Hot Issue« prahlte ein widerlicher Schriftzug auf dem Cover. Wir hatten seit Monaten nicht mehr miteinander gesprochen, nicht weil irgendetwas vorgefallen wäre, sondern weil ich Tag und Nacht an meiner Kollektion gearbeitet hatte, bevor mich die Überwältigende Heimsuchung hierher brachte. Cunningham drehte die Zeitschrift um neunzig Grad, um eine Doppelseite zu betrachten, was ich besonders ärgerlich fand.
    »Darf ich mir das mal ansehen, wenn Sie fertig sind?«, fragte ich ihn.
    »Nö.«
    Er sah sich weiter die Bilder an und ignorierte mich. Wie gesagt, das kann er sehr gut.
    Ich stand auf, um zu pinkeln, wohl wissend, dass Cunningham dann aufhören musste zu lesen, um es in das Buch zu kritzeln. Was er auch tat. Aber jetzt brannte ich darauf, mir Olya genauer anzusehen. Er musste mir seine Zeitschrift geben! Er musste . Ich ging in meiner Zelle auf und ab und versuchte, nicht allzu sehr auf das Heft zu starren. Cunningham ignorierte mich, so gut er konnte, aber es dauerte nicht lange, bis er doch zu mir hochsah. Er seufzte demonstrativ.
    »Die kenne ich nämlich, wissen Sie«, sagte ich.
    »Wen?«, fragte er.
    »Die da. Olya. Das Mädchen auf dem Cover.«
    »Die kennst du nicht«,
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