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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Autoren: Jonathan Stroud
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Heuballen, die man noch vor der Belagerung in die Stadt gebracht hatte. Über mir stand die Holzkonstruktion des Turms in Flammen. Von den Wachen war nichts mehr zu sehen. Kobolde und Dschinn schwirrten kopflos umher und beschossen einander mit magischen Blitzen. Lodernde Leichen fielen vom Himmel und setzten Dächer in Brand. Aus den umliegenden Häusern kamen schreiend Frauen und Kinder gelaufen. Das Strachovtor erbebte unter dem Ansturm der Horla-Dreizacke. Es würde nicht mehr lange standhalten.
    Die Verteidiger brauchten dringend meine Hilfe. Voller Tatendurst befreite ich mich aus dem Heu.
    »Wenn du dir irgendwann mal den letzten Halm aus dem Lendenschurz gezupft hast, Bartimäus«, sagte jemand ironisch, »könnten wir dich oben auf der Burg gebrauchen.«
    Der falkenköpfige Krieger blickte auf. »Ach… hallo, Queezle.«
    Mitten auf der Straße saß eine anmutige Leopardin und musterte mich mit smaragdgrünen Augen. Sie erhob sich lässig, trottete ein paar Schritte zur Seite und ließ sich wieder nieder. Wo sie eben noch gehockt hatte, platschte ein brennender Pechklumpen aufs Pflaster und hinterließ einen qualmenden Krater. »Ganz schön was los hier«, bemerkte sie.
    »Ja. Da ist nicht mehr viel zu machen.« Ich sprang von meinem Heuwagen.
    »Sieht aus, als könnten die Bindezauber in der Mauer jeden Augenblick brechen«, sagte die Leopardin mit einem Seitenblick auf das bebende Tor. »Ziemlicher Pfusch. Möchte bloß wissen, welcher Dschinn dafür verantwortlich ist.«
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Was hast du vorhin gemeint… hat unser Herr uns gerufen?«
    Die Leopardin nickte. »Beeil dich lieber, sonst verpasst er uns noch den Stichel. Wir gehen zu Fuß, der Himmel ist zu unruhig.«
    »Geh du vor.«
    Ich wechselte die Gestalt und wurde ein Panter, schwarz wie die tiefste Nacht. Wir liefen zum Hradschinplatz. Die engen Gassen, in die wir einbogen, waren unbelebt, denn wir mieden jene Straßen, wo sich die von Panik ergriffenen Menschen drängten wie Vieh. Das Feuer griff auf immer mehr Gebäude über, Giebel stürzten ein, Häuserwände fielen zusammen. Um die Dächer tanzten kleine Kobolde und schwenkten Funken in den Händen.
    In der Burg selbst standen die kaiserlichen Lakaien in dem von flackernden Laternen beleuchteten Hof und luden wahllos Möbelstücke auf Wagen; dazwischen mühten sich Stallknechte, die Pferde anzuschirren. Der Himmel über der Stadt war mit bunten Lichtfontänen gesprenkelt. Vom fernen Strachovkloster war das dumpfe Rumsen von Explosionen zu vernehmen. Wir schlüpften ungehindert durch den Haupteingang.
    »Will der Kaiser etwa fliehen?«, keuchte ich. Kobolde hasteten an uns vorbei und balancierten Kleiderbündel auf dem Kopf.
    »Seine heiß geliebten Vögel sind ihm wichtiger«, erwiderte Queezle. »Unsere Afriten sollen sie auf dem Luftweg in Sicherheit bringen.« In ihren grünen Augen funkelte matte Belustigung.
    »Aber die Afriten sind doch alle tot.«
    »Du hast’s erfasst. Wie auch immer, wir sind gleich da.«
    Wir hatten den Nordflügel der Burg erreicht, wo die Zauberer ihr Quartier aufgeschlagen hatten. Magie quoll aus jeder Mauerritze. Leopard und Panter sprangen eine lange Treppenflucht hinunter, über einen Balkon, der auf den Hirschgraben hinausging, und durch den Türbogen zum unteren Arbeitszimmer wieder hinein. Es war ein großer, runder Raum, der fast das ganze Erdgeschoss des Weißen Turms einnahm. Im Lauf der Jahrhunderte war ich schon oft hierher zitiert worden, doch diesmal waren die üblichen magischen Gerätschaften – Bücher, Räuchergefäße und Kandelaber – beiseite geschoben, um Platz für eine lange Reihe aus zehn Stühlen und Tischen zu schaffen. Auf jedem Tisch stand eine flackernde Kristallkugel. Auf jedem Stuhl saß ein Zauberer oder eine Zauberin und beugte sich gespannt über seine beziehungsweise ihre jeweilige Kugel. Es herrschte absolute Stille.
    Unser gemeinsamer Herr und Meister stand am Fenster und beobachtete durch ein Fernrohr den Nachthimmel. 7
(Das Fernrohr enthielt einen Kobold, dessen Sehvermögen es Menschen erlaubte, auch im Dunkeln etwas zu erkennen. Ein recht nützliches Gerät, würden launische Kobolde nicht gelegentlich das Bild verzerren oder nach Belieben irgendwelche unpassenden Requisiten hinzufügen: Bäche aus Goldstaub, befremdliche Traumbilder oder Spukgestalten aus der Vergangenheit des Betrachters. )
Als er uns bemerkte, gab er uns mit einer Handbewegung zu verstehen, dass wir uns ruhig verhalten
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