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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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geheißen. Als er die Widmung las, wurde er bleich und schluckte. Einen Moment lang schloss er die Augen, dann schaute er mich wortlos an. Es kam mir vor, als sei er in fünf Sekunden fünf Jahre gealtert.
    »Ich bin ihm von hier aus gefolgt«, sagte ich. »Er wohnt seit einer Woche in einem schäbigen Stundenhotel in der Calle Hospital, gegenüber der Pension Europa, und soweit ich habe herausfinden können, benutzt er einen falschen Namen, nämlich Ihren: Fermín Romero de Torres. Von einem der Schreiber vor dem Virreina-Palast habe ich erfahren, dass er einen Brief hat abschreiben lassen, in dem von einer großen Geldsumme die Rede ist. Kommt Ihnen irgendetwas von alledem bekannt vor?«
    Er war mit jedem Wort dieser Geschichte mehr zusammengeschrumpft, als hätte er mit der Schaufel einen Schlag nach dem anderen auf den Kopf bekommen.
    »Daniel, folgen Sie diesem Menschen auf keinen Fall mehr, und sprechen Sie auch nicht mehr mit ihm. Tun Sie gar nichts. Halten Sie sich von ihm fern. Er ist sehr gefährlich.«
    »Wer ist dieser Mann, Fermín?«
    Er klappte das Buch zu und versteckte es in einem Regal hinter einigen Schachteln. Zum Ladenlokal spähend, wo mein Vater noch mit der Kundin beschäftigt war und uns nicht hören konnte, trat er dicht an mich heran und sagte leise:
    »Bitte, erzählen Sie Ihrem Vater nichts davon und auch sonst niemandem.«
    »Fermín …«
    »Tun Sie mir den Gefallen. Ich bitte Sie um unserer Freundschaft willen darum.«
    »Aber, Fermín …«
    »Bitte, Daniel. Nicht hier. Vertrauen Sie mir.«
    Ich nickte widerwillig und zeigte ihm den Hundert-Peseten-Schein, mit dem der Unbekannte bezahlt hatte. Ich brauchte ihm nicht zu sagen, woher er stammte.
    »Dieses Geld ist verflucht, Daniel. Geben Sie den Schein den Barmherzigen Nonnen oder einem Bettler auf der Straße. Oder noch besser, verbrennen Sie ihn.«
    Ohne ein weiteres Wort zog er den Kittel wieder aus, schlüpfte in seinen abgetragenen Regenmantel und stülpte sich eine Baskenmütze auf seinen Streichholzkopf, der aussah wie eine geschmolzene Paellapfanne auf einem Bild von Dalí.
    »Gehen Sie schon?«
    »Sagen Sie Ihrem Vater, es sei mir etwas dazwischengekommen. Bitte.«
    »Natürlich, aber …«
    »Jetzt kann ich es Ihnen nicht erklären, Daniel.«
    Als hätte er einen Knoten im Gedärm, griff er sich mit einer Hand an den Magen, und mit der anderen begann er zu gestikulieren, wie wenn er Worte, die er nicht über die Lippen brachte, im Flug aufschnappen wollte.
    »Fermín, wenn Sie es mir erzählen, kann ich Ihnen vielleicht helfen …«
    Er zögerte einen Augenblick, doch dann schüttelte er den Kopf und ging davon. Ich folgte ihm zur Tür und sah ihn im Sprühregen davongehen, ein kleines Männchen, auf dessen Schultern die Welt lastete, während die Nacht schwärzer denn je über Barcelona hereinbrach.

9

    Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass jedes wenige Monate alte Baby in der Lage ist, mit unfehlbarem Instinkt genau den Moment abzupassen, in dem seine Eltern des Nachts endlich haben einschlummern können, und dann zu seinem Geheule anzuheben und sie so daran zu hindern, länger als dreißig Minuten durchzuschlafen.
    Diese Nacht erwachte der kleine Julián wie fast immer gegen drei Uhr und verkündete sein Dasein augenblicklich aus voller Lunge. Ich öffnete die Augen und drehte mich um. Leuchtend im Halbdunkel, rekelte sich Bea neben mir in einem langsamen Erwachen, das es mir erlaubte, die Konturen ihres Körpers unter den Laken zu betrachten, und murmelte etwas Unverständliches. Ich widerstand dem natürlichen Impuls, ihren Hals zu küssen und sie aus diesem endlos langen Panzernachthemd zu befreien, das ihr mein Schwiegervater, gewiss in voller Absicht, zum Geburtstag geschenkt hatte und das auch mit List und Tücken nicht aus dem Wäscheschrank zu verbannen war.
    »Ich geh schon«, flüsterte ich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
    Sie drehte sich nur um und steckte den Kopf unters Kissen. Eine Weile genoss ich die geschwungene, gegen Ende sanft abfallende Linie ihres Rückens, die sämtliche Nachthemden der Welt nicht hätten zähmen können. Nun war ich schon fast zwei Jahre mit diesem wunderbaren Wesen verheiratet, und noch immer überraschte es mich, neben ihr zu erwachen und ihre Wärme zu spüren. Schon war ich dabei, das Laken beiseitezuschieben und diese samtenen Waden zu liebkosen, als Bea mir die Fingernägel ins Handgelenk bohrte.
    »Nicht jetzt, Daniel. Der Kleine weint.«
    »Ich wusste doch, dass
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