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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Pupillen. Ich schluckte. Sie war blind.
»Du kennst meine Nichte Clara nicht, was?« fragte Barceló.
Ich verneinte, unfähig, den Blick von diesem Geschöpf mit dem Porzellanpuppenteint und den weißen Augen abzuwenden, den traurigsten Augen, die ich je gesehen habe.
»Im Grunde ist Clara die Expertin für Julián Carax, darum habe ich sie mitgebracht«, sagte Barceló. »Ja, wenn ich’s mir richtig überlege, ziehe ich mich, glaube ich, mit eurer Erlaubnis in einen andern Raum zurück, um dieses Buch zu studieren, während ihr euch über eure Dinge unterhaltet. Ist euch das recht?«
Verdutzt schaute ich ihn an. Ohne sich weiter um mich zu kümmern, klopfte mir der Buchhändler, Gauner bis zum letzten Atemzug, leicht auf die Schulter und zog mit meinem Buch unterm Arm ab.
»Du hast ihn beeindruckt, weißt du«, sagte die Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und sah, wie das leichte Lächeln von Barcelós Nichte im Leeren tastete. Sie hatte eine so zarte Kristallstimme, daß ich glaubte, ihre Worte würden zersplittern, wenn ich sie mitten im Satz unterbräche.
»Mein Onkel hat mir gesagt, daß er dir für Carax’ Buch eine ordentliche Summe angeboten hat, aber du hast sie abgelehnt. Du hast seinen Respekt gewonnen.«
»Schwer zu glauben«, seufzte ich.
Ich stellte fest, daß Clara beim Lächeln den Kopf zur Seite neigte und ihre Finger mit einem Ring spielten, von dem es nur so blitzte.
»Wie alt bist du?« fragte sie.
»Fast elf. Und Sie?«
Clara lachte über meine unverschämte Naivität.
»Fast doppelt so alt, aber das ist auch wieder nicht so alt, daß du mich zu siezen brauchst.«
»Sie sehen jünger aus«, bemerkte ich in der Ahnung, das könnte ein guter Ausweg aus meiner Indiskretion sein.
»Dann traue ich dir – ich weiß ja nicht, wie ich aussehe«, antwortete sie und lächelte weiter ihr halbes Lächeln. »Aber wenn ich dir jünger vorkomme, ist das ein Grund mehr, daß du mich duzt.«
»Wie Sie meinen, Señorita Clara.«
Aufmerksam betrachtete ich ihre wie Flügel auf dem Schoß ausgebreiteten Hände, ihre zarte, sich unter dem flauschigen Stoff abzeichnende Taille, die Linie ihrer Schultern, die außerordentliche Blässe ihres Halses und den Verschluß ihrer Lippen, die ich am liebsten mit den Fingerspitzen liebkost hätte. Nie zuvor hatte ich Gelegenheit gehabt, eine Frau von so nahe und so genau zu studieren, ohne befürchten zu müssen, ihrem Blick zu begegnen.
»Was guckst du?« fragte Clara nicht ohne eine gewisse Boshaftigkeit.
»Ihr Onkel sagt, Sie sind Expertin für Julián Carax«, improvisierte ich mit trockenem Mund.
»Mein Onkel wäre imstande, alles zu sagen, wenn er nur eine Weile mit einem Buch allein sein kann, das ihn fesselt. Aber du fragst dich gewiß, wie eine Blinde Expertin für Bücher sein kann, ohne lesen zu können.«
»Das ist mir, ehrlich gesagt, gar nicht in den Sinn gekommen.«
»Dafür, daß du fast elf bist, lügst du nicht schlecht. Sieh dich vor, oder du endest noch wie mein Onkel.«
Da ich befürchtete, abermals ins Fettnäpfchen zu treten, blieb ich schweigend sitzen und starrte sie fasziniert an.
»Na los, komm her«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Komm her und hab keine Angst. Ich werde dich schon nicht auffressen.«
Ich stand vom Stuhl auf und trat zu Clara. Sie hob die rechte Hand und tastete nach mir. Ohne recht zu wissen, wie ich mich verhalten sollte, reichte ich ihr die Hand. Sie nahm sie in die eine und bot mir die andere Hand. Instinktiv begriff ich, worum sie mich bat, und führte sie zu meinem Gesicht. Ihre Berührung war kräftig und zart zugleich. Ihre Finger wanderten über meine Wangen und die Backenknochen. Ich rührte mich nicht und wagte kaum zu atmen, während Clara mit der Hand meine Züge las. Dabei lächelte sie vor sich hin, und ich konnte sehen, daß sich ihre Lippen wie in stummem Murmeln halb schlossen. Ich spürte die leichte Berührung ihrer Hände auf der Stirn, im Haar und auf den Lidern. Bei meinen Lippen hielt sie inne und zeichnete sie mit Zeige- und Ringfinger schweigend nach. Sie rochen nach Zimt. Ich mußte schlucken, als ich feststellte, daß mein Puls gewaltsam emporschnellte, und war heilfroh, daß es keine Augenzeugen für mein glühendes Erröten gab.
3
    An diesem Dunst- und Nieselabend raubte mir Clara Barceló das Herz, den Atem und den Schlaf. Im Licht des Athenäums schrieben ihre Finger meiner Haut einen Fluch ein, der mich jahrelang verfolgen sollte. Während ich sie mit offenem Mund betrachtete, erzählte mir die
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