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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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noch nie von Julián Carax und seinem Buch Der Schatten des Windes gehört hatte. Neugierig prüfte er die Seite mit den Verlagsangaben.
    »Hiernach gehört dieses Exemplar zu einer Ausgabe von zweitausendfünfhundert Exemplaren, die im Dezember 1935 in Barcelona von Cabestany Editores gedruckt wurde.«
    »Kennst du den Verlag?«
»Er hat schon vor Jahren geschlossen. Aber die Originalausgabe ist nicht die da, sondern eine andere vom November desselben Jahres, allerdings in Paris gedruckt. Der Verlag ist Galliano & Neuval. Sagt mir nichts.«
    »Das Buch ist also eine Übersetzung?« fragte ich verwirrt.
»Das steht nicht da. Soweit man hier sieht, handelt es sich um den Originaltext.«
»Ein Buch auf spanisch, das zuerst in Frankreich verlegt wurde?«
»Das dürfte damals nicht das erste Mal gewesen sein. Vielleicht kann uns Barceló weiterhelfen …«
Gustavo Barceló war ein alter Kollege meines Vaters, Inhaber einer höhlenartigen Buchhandlung in der Calle Fernando, welcher die Antiquarenzunft anführte. Er hing tagaus, tagein an einer erloschenen Pfeife, die nach persischem Markt dunstete, und bezeichnete sich selbst als letzten Romantiker. Er behauptete, in seiner Familie gebe es eine entfernte Verwandtschaft mit Lord Byron, obwohl er selbst aus dem Flecken Caldas de Montbuy stammte. Vielleicht um diese Verbindung deutlich zu machen, kleidete er sich wie ein Dandy aus dem 19. Jahrhundert, mit Foulard, weißen Gamaschen und einem Monokel aus Fensterglas, das er, wie böse Zungen sagten, nicht einmal in der Intimität des Klos abnahm. In Wirklichkeit war die bedeutsamste Verwandtschaft, deren er sich erfreute, die mit seinem Vater, einem Industriellen, der sich Ende des 19. Jahrhunderts auf mehr oder weniger schmutzige Art bereichert hatte. Wie mir mein Vater erklärte, war Gustavo Barceló tatsächlich betucht, und seine Buchhandlung war weit eher eine Leidenschaft als ein Geschäft. Er liebte die Bücher vorbehaltlos, und wenn jemand seine Buchhandlung betrat und sich in einen Band vernarrte, den er sich nicht leisten konnte, setzte er, obwohl er das rundweg bestritt, den Preis soweit als nötig herunter oder verschenkte das Buch gar, wenn er den Käufer als echten Büchernarren und nicht als Sonntagsleser einschätzte. Abgesehen von solchen Eigentümlichkeiten verfügte Barceló über ein Elefantengedächtnis und konnte belehrend auftreten, daß einem die Ohren gellten, aber wenn jemand über merkwürdige Bücher Bescheid wußte, dann er. Nachdem mein Vater an diesem Abend die Buchhandlung geschlossen hatte, schlug er vor, ins Café Els Cuatre Gats in der Calle Montsió zu gehen, wo Barceló und seine Kollegen einen bibliophilen Stammtisch über poètes maudits, tote Sprachen und den Motten zum Opfer gefallene Meisterwerke unterhielten.
    Els Cuatre Gats lag einen Steinwurf von zu Hause entfernt, und diese vier Katzen hatten es mir angetan. Dort hatten sich im Jahr 1932 meine Eltern kennengelernt, und meine Eintrittskarte fürs Leben schrieb ich zum Teil dem Charme dieses alten Cafés zu. Steinerne Drachen bewachten die tief verschattete Fassade, und die Gaslaternen an der Ecke froren Zeit und Erinnerungen ein. Im Innern verschmolzen die Menschen mit den Echos aus andern Zeiten. Buchhalter, Träumer und Geisteslehrlinge teilten den Tisch mit den Schimären von Pablo Picasso, Isaac Albéniz, Federico García Lorca oder Salvador Dalí. Zum Preis eines kleinen Kaffees konnte sich hier jeder Habenichts für ein Weilchen als historische Figur fühlen.
    »Mensch, Sempere«, rief Barceló, als er meinen Vater hereinkommen sah, »der verlorene Sohn. Was verschafft uns die Ehre?«
    »Die Ehre verschafft Ihnen mein Sohn Daniel, Don Gustavo, der soeben eine Entdeckung gemacht hat.«
    »Dann setzen Sie sich zu uns, diese Kasualie will gefeiert sein«, rief Barceló.
»Kasuarlilie?« flüsterte ich meinem Vater zu.
»Barceló redet nur in Fremdwörtern«, antwortete mein Vater halblaut. »Und du sag nichts, er plustert sich gern auf.«
    Die Stammtischgäste machten uns Platz in ihrem Kreis, und Barceló, der sich gern freigebig zeigte, bestand darauf, uns einzuladen.
    »Wie alt ist denn der Grünschnabel?« fragte er und musterte mich von der Seite.
»Fast elf«, erklärte ich.
Barceló lächelte mir verschmitzt zu.
»Also zehn. Mach dich nicht älter, du Halunke, das wird das Leben schon noch übernehmen.«
Mehrere der Stammtischgäste murmelten zustimmend. Barceló winkte einen Kellner herbei, der aussah, als würde er
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