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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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erteilt, ihn lebend zu fangen. Um eine neuerliche Hinrichtung inszenieren zu können, mit großem Getöse.
    Er seufzte.
    Er lehnte an der Mauer, mit Axt und Schwert. Ohne Schild. Ohne Helm.
    Die kleine Armee näherte sich ihm wie ein einzelnes Wesen mit vielen Segmenten. Es gab keine Gesichter in einer Armee. Alle sahen gleich aus. Das war wohl auch so beabsichtigt.
    Damit es einem noch leichter fiel, sie ohne Erinnerungen zu töten.
    Sie formierten sich in Sechserreihen, vier hintereinander. Der Kommandeur bellte diesbezügliche Befehle. Dann klappten die vorderen sechs Speere aus, und die zweitvordersten sechs ebenfalls, sodass zwölf Piken nach vorne aus dem Lebewesen ragten. Darauf waren sie wohl ganz besonders stolz. Und begriffen nicht, dass sie sich dadurch erst recht gegenseitig ins Gehege kamen und sich kaum noch bewegen konnten.
    Der Barbar schloss wieder kurz die Augen, doch der Vogel war nicht nur verstummt, er war sogar fortgeflogen.
    Der Punkt der Übernahme, der Augenblick des Alles-in-eins. Er konnte ihn schon beinahe spüren. Er rumorte in ihm wie ein sich ankündigender Anfall.
    Das zwölfspeerige Wesen machte einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. Der Kommandant linker Hand. Bellte. Kommandos.
    Der Punkt der Übernahme.
    Jetzt.
    Der Barbar sprang nach vorne, genau zwischen die Speere. Sein Leib wurde Wasser, durchlässig, durchsichtig, bildete Arme aus, wo vorher keine gewesen waren. Er senste mit dem Schwert fünf Speerspitzen ab. Sie trudelten davon, berührten sich im Flug. In das Wesen kam Furcht. Jetzt die Axt. Ein Helm, dann noch einer. Durch den Helm in den Kopf. Die Axt war viel zu schwer, um von Helmen gebremst zu werden. Mit dem Schwert: zwei weitere Speere. Amputiert verirrten sich die Soldaten. Der Kommandant bellte. Statt eines Rüden klang er langsam wie ein Welpe. Der Barbar arbeitete sich an den Schilden entlang. Der Kommandant wich zurück, fuchtelte mit seinem Säbel. Der Barbar kam näher. Speerspitzen trudelten, abgetrennt. Noch ein Helm. Noch einer. Vier stürzten nun schon in den Leib des Wesens zurück, brachten alles in Unordnung, alles in Aufruhr. Der Kommandant. Bellte nun nicht mehr. Winselte. Die Axt und das Schwert sorgten gleichzeitig für Stille. Wie eine übergroße Schere kamen sie zusammen und auseinander, und das Gekläffe war gekappt.
    Jetzt sprang er hoch.
    Der Augenblick des Alles-in-eins.
    Jetzt. Jetzt.
    Von oben kam er über das Wesen und jätete.
    Blut hoch bis zu den Ziegeln der Gebäude.
    Jetzt.
    Ein furchtbarer Schrei brach sich Bahn, aus über einem Dutzend Kehlen. Wurde zu einem Ächzen. Dann zu einem Keuchen. Einem Röcheln.
    Sie schütteten ihm ihr Blut entgegen, als gälte es, ihn zu salben. Er hackte und schnitt. Fleisch war ein dankbares, formbares Medium. Knochen bereiteten Scherereien, aber dank seiner reichhaltigen Erfahrung gelang es ihm, ein Steckenbleiben, ein Stocken zu vermeiden. Er rührte wie in einem gewaltigen Gericht. Es war einfach. Denn er musste nicht abwägen. Keine Unterschiede machen. Nicht auf Kleinigkeiten achten. Auf Zwischentöne. Er durfte nicht nichts vom Zaun brechen . Er zermalmte den Zaun. Und den Garten des Zauns. Und den Himmel über dem Garten gleich mit.
    Das Blut der Männer spritzte hoch, bis es die Ziegel der angrenzenden Gebäude benetzte.
    Und ihr Schreien war ein Durchschneiden und Hindurchgehen. Und das Dahinter schrie abermals. Und erneut schritt er hindurch. Und alle waren gleich und gleich unbedeutend. Namen- und geschichtenlos. Elternlos. Kinderlos.
    Leblos.
    Und als es vorbei war und eine bleierne Stille einsetzte, die kein Vogel zu stören gewagt hätte, da wurde der Barbar dann doch noch verwundet. Denn der Stierling war noch nicht vollkommen bezwungen gewesen. Hatte sich hochgearbeitet im Laufe des Kampfes, den Degen der Frau in die Hand genommen, deren Arm wenigstens nicht gebrochen war, und stumm wie ein Vorwurf warf er sich auf den Barbaren und durchstieß ihm mit dem Degen den linken Oberschenkel.
    Der Barbar entblößte seine Zähne, die allesamt rot verschmiert waren, weil er auch im Töten den Mund nicht geschlossen genug gehalten hatte.
    Dann schlug er zurück, mit Axt und Schwert gleichzeitig, wie bei dem Kommandanten, und der Stierling hauchte fluchend endgültig sein Leben aus. Seine blonden Zöpfe lösten sich im Blut der Soldaten zu gelben und roten Strahlenmustern.
    Aus der Gasse schien Rauch aufzusteigen. Es war der Dampf erbrochener Leiber. Sämtliche Fenster waren beschlagen.
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