Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa
Autoren: Die hellen Tage
Vom Netzwerk:
ausgesprochen gewesen. Ich hatte nicht anrufen wollen, ich wollte ihm
die Zeit lassen, die er für seine Antwort brauchen würde, aber als ich den
Brief zur Post brachte, war ich sicher, Karl würde sofort seine Taschen packen,
er würde eine Fahrkarte für den Zug kaufen oder einen kleinen roten Wagen
leihen, er würde die Nacht durchfahren und die Tage nicht zählen, die er mit
uns in Kirchblüt verbringen würde.
    Er kam an einem Sonntag, an dem
ich Évi zur Kirche begleitet hatte, weil Zigi sich nur noch selten dazu
aufraffen konnte. Als wir nach der Messe auf den großen Platz traten, sah ich
Karl auf einer Bank unter den Platanen sitzen, die ihre ersten Blätter
vorsichtig zeigten. Er sprang auf, Évi eilte auf ihn zu, und als er sie
umarmte, hielt sie sein Gesicht zwischen den Händen, strich seine langen
Strähnen zurück und fuhr über die blasse Stelle an seiner Schläfe, dort, wo
sich die Haut in Wellen legte. Évi schüttelte den Kopf, schob Karl an den
Schultern von sich, als könne sie ihn dann besser anschauen, schüttelte wieder
den Kopf, als könne sie nicht glauben, dass es wirklich Karl war, der an diesem
Sonntag nach Kirchblüt gekommen war, um auf uns zu warten, bis die Glocken
läuten und die Kirchentüren sich zum großen Platz öffnen würden. Ich konnte
seinem Gesicht die Sonne und die warme Luft des Südens ansehen, und etwas
ließ mich denken, ich würde mich nicht Sattsehen können daran. Zu lange hatte
ich Karl vermisst, und jetzt schmerzte es mich, ihn vor mir zu haben, weil ich
die Zeit plötzlich fassen konnte, in der wir uns nicht getroffen hatten. Karl
sagte, er habe gewusst, Évi sei hier, wo solle sie am Sonntagmorgen schon sonst
sein, und dann lachten wir, und Évi zeigte ihre kleinen spitzen Zähne, nahm
Karl an der Hand und sagte, er solle gleich mit zu ihr kommen, ich solle alle
zusammenrufen und für den Nachmittag zu ihr bestellen. Ich ging zum
Krankenhaus, damit Aja den Dienst tauschte, ich rief Ellen an, die aus
Heidelberg mit dem Wagen kommen würde, und ich lief zu Karls Vater, der gerade
die Kletterrosen neben den Fensterläden mit Draht festband, und sagte, er könne
nicht bis zum Nachmittag warten, um Karl zu sehen, er müsse gleich los.
    Es war nicht zu kalt, um draußen
zu sitzen. Zigi hatte den großen Tisch unter den Birnbaum gestellt und Karl die
Stühle. Aja winkte schon von weitem, ihr weißer Kittel lugte aus ihrer Tasche,
als sie das Tor öffnete, und sie umarmte Karl lange und fasste seine Hände, und
als Karl sich zu ihr beugte, schob sie seine Brille zurück, die vorgerutscht
war, so wie sie es in Rom oft getan hatte. Meine Mutter legte die Tischdecke
auf, Ellen goss Winzersekt in die Kristallgläser, die sie Évi vor langer Zeit
mitgebracht hatte und von denen in all den Jahren nicht eines zersprungen war,
und dann stießen wir an, auf Karl und darauf, dass er nach Kirchblüt gekommen
war. Évi stellte zwei Bleche Streuselkuchen auf den Tisch, und weil er ihr
gelungen war, brauchten wir nicht so zu tun, als schmecke er. Sie schenkte uns
diesen Nachmittag, an dem wir nichts taten als sitzen und reden und der sich
doch in meine Erinnerung gebrannt hat wie kein anderer, als habe Évi ihn mit
Zigi geplant - als sollten wir uns in ihrem Garten wiederfinden, damit sie für
immer dieses Bild von uns haben würde, Aja, Karl und ich auf schiefen Stühlen
unter der geflickten Regenrinne, als könnten wir an diesem Nachmittag die Zeit
zurückdrehen, als könnten wir die alten Farben noch einmal sehen und
vergessen, dass der Frühling keinen Hut mit gelben Bändern trug. Dass wir
längst von unseren Linden gestiegen waren und keine Blüten mehr zupften, um sie
über den Zaun ins hohe Gras segeln zu lassen.
    Wir merkten kaum, dass sich der
Abend auf die Felder senkte und einen kühlen Wind von Süden brachte. Wir saßen
im Dunkeln und kümmerten uns nicht um den Kleinen Wagen, der sich hoch über
unseren Köpfen am Kirchblüter Himmel zeigte. Aja hatte aus dem Verschlag hinter
den Hühnern zwei alte Töpfe geholt, in die Évi ihre Wachsreste warf und zu
neuen Kerzen schmolz .Sie zündete drei Dochte an, und das flackernde Licht
setzte springende Schatten auf unsere Gesichter. Ellen reichte Karls Vater die letzte
Flasche Winzersekt zum Öffnen, und Évi sagte, sie habe uns zu sich bestellt,
weil sie uns etwas mitzuteilen habe. Aus ihrem Mund klang es schief und schräg,
weil es der Ton aus Évis Amtspapieren war, aus den Briefen, die ihr der
Postbote jahrelang gebracht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher