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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition)
Autoren: Esther Kinsky
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unstet, weil niemand wusste, wo sie wirklich zu Hause waren. Abends tranken und tanzten sie im Wirtshaus und sangen Lieder, die allein weil die Wanderpflücker sie vortrugen, nach fernen Gegenden klangen.
    Tagsüber schritten die Melonenpflücker die Felder der Länge nach ab und trugen die Melonen zu kegelförmigen Haufen zusammen. In der Mittagszeit lagen sie im Schatten und schliefen oder blickten in den Himmel und in die Wipfel der spärlichen Bäume. Wegen der großen Hitze errichtete man auf den Melonenfeldern ein offenes Zelt oder eine aus vier Pflöcken und einem großen Tuch bestehende Laube, wo die Melonenpflücker Schutz vor der Sonne suchen konnten. Dort hielt sich auch der Melonenwächter auf, der Tag und Nacht die kostbaren Melonen hütet.
    Abends kam ein Lieferwagen zum Feld. Die Pflücker rollten die Melonen auf die Ladefläche. Im Abendlicht sahen die einzelnen Melonen, die zuvor noch unscheinbar in ihren Haufen gelegen hatten, groß und prächtig aus, jedermann verstand, warum für sie ein Wächter bestellt war.
    Der Melonenwächter des letzten Sommers wusste in mehreren Sprachen zu zählen und verstand sich auf Schlaflosigkeit. Er sprach wenig und in einer Mundart, die sich für Hiesige fremd anhörte. Wenn es Abend wurde, verschwammen die Umrisse seiner Gestalt, als löste er sich an den Rändern auf und ließe die Nacht ein kleines Stück in sich herein.
    Mitten in der Ernte verdingte sich eine Frau zum Melonenpflücken, die keiner kannte. Sie war klein und stark, hatte das Haar in einem Zopf um den Kopf gewickelt. Sie trug bauschige Hosen und ein ärmelloses Hemd, und man sah ihre Schultern und starken Arme, die weder die einer Frau noch die eines Mannes waren, es waren eher die Schultern eines starken Kindes, das schwere Arbeit leisten muss. Eines Abends steckte sie ihren Lohn in die Tasche, aber blieb am Rand des Feldes stehen. Als alle anderen im Wirtshaus waren, wo sie trinken und möglicherweise auch zu den Liedern des Akkordeonspielers tanzen würden, setzte sie sich zum Melonenwächter, der so still unter einem Zeltdach saß, als hätte er die gezählten Melonen bereits vergessen. Sie saßen die ganze Nacht nebeneinander. Es war eine der Nächte, in denen sich ganz plötzlich und nur augenblickslang der Herbst ankündigt. Am Morgen wurde der Horizont erst grau, dann gelb, und die Wolken am Himmel lagen in dunklen Streifen am Rand dieses blassen Gelb.
    Bis zum Ende der Ernte saß die Frau nachts neben dem Melonenwächter. Manchmal saßen sie nah beieinander, so dass ihre dunklen Gestalten einen einzigen Umriss bildeten, der mit der Nacht verfloss, manchmal rückten sie ein Stückchen voneinander ab, dann stand ein Stück Himmel zwischen ihnen.
    Als die Melonenernte zu Ende ging, verabschiedeten sich alle voneinander. Jeder ruht in seiner eigenen Nacht, soll der Melonenwächter zum Abschied gesagt haben. Jeder ging seiner Wege, und der Melonenwächter schlug im Abenddämmer seine Laube ab. Er legte die Hölzer an den Straßenrand und faltete das Tuch darüber. Die Nächte waren schon spürbar länger. Die Melonenfelder waren bald nur schwarzes Land, endlos bis zum Horizont.

BATTONYA
    Gegenüber lebte eine alte Frau namens Olga. Sie sprach mit tiefer, lauter Stimme. Nachmittags saß Olga auf der Bank vor ihrem Haus und rief den Leuten auf der Straße ein paar Worte zu. Manchmal kamen mehrere alte Frauen und setzten sich zu ihr. Die Bucklige in der Rüschenschürze durfte neben Olga auf der Bank sitzen, die anderen Frauen brachten kleine Schemel mit. So redeten sie im Spätsommerlicht, leise und unaufhörlich, bis die Abendkühle aufstieg. Als erste ging immer die Bucklige. Sie trug ihren schmalen kniffigen Mund und ihre roten Augen an meinem Fenster vorbei und in ihr Haus, um für ihren Bruder das Abendessen zu bereiten.
    Eines Tages starb Olga. Als sie begraben wurde, fuhren alle Frauen der Straße auf ihren schwarzen Fahrrädern zum serbischen Friedhof. Sie brachten Sträuße mit Dahlien und gelben Margeriten und blassen kleinen Astern mit.
    Olgas entfernte Verwandte machte sich daran, Olgas Haus auszuräumen. Sie verschenkte und verkaufte Olgas Besitztümer, und Leute kamen mit Handkarren, um Wäsche, Geschirr und Kochtöpfe abzuholen.
    Olga hatte lange in einer fremden Stadt gekellnert. Sie machte die Bekanntschaft eines Kellners, mit dem sie in ihrer freien Zeit kleinen Vergnügen nachging. Olga hatte jedoch stets große Sehnsucht nach der Musik ihrer Heimat, insbesondere dem
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