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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition)
Autoren: Esther Kinsky
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Akkordeon. Olga hielt große Stücke auf jeden Akkordeonspieler und wird auch ihrem Freier davon erzählt haben. Der Kellner nahm sie zur Frau, und sie kam mit ihm zurück in ihr Haus und brachte auch ihre Kellnerinnenschuhe mit, schwarze Schnürstiefel, die bis an die Wade reichten, und an den Zehen und der Ferse offen waren. Bald starb der Ehemann, und Olga wurde Buffetdame im Kino von Battonya, wo sie ihre Kellnerinnenschuhe wieder tragen konnte. Das Buffet war sehr klein, und Olga reichte durch ein kleines Fenster Tässchen mit starkem Kaffee, kleine Gläser mit Wein, süße Limonade, ungeschälte Erdnüsse, die auf riesigen Feldern in der Umgegend wuchsen, und gekochten Mais. Die Maiskolben schwammen stundenlang in einem großen schwarzen Kessel im warmen Wasser.
    Das Kino von Battonya lag jetzt verlassen. ›Mozi‹ stand in erloschener Schrift auf der Fassade, und drinnen roch es nach dem heißen Staub im Lichtstrahl der Vorführmaschine und nach Erdnüssen. Der Linoleumfußboden wellte sich, die Fensterbänke waren übersät mit ausgetrockneten Fliegen. Hinter dem Kino lag ein wilder Garten mit einem großen Walnussbaum, auf dem Eulen wohnten, tagsüber saßen sie unbeweglich auf den ästen, dicke Stümpfe im schütteren Laub. Wenn es Abend wurde, breiteten sie die Flügel aus und schwebten mit einem leisen pfeifenden Sausen in die Dämmerung.
    Es war September, und die Störche flogen davon. Das Brachland gehörte jetzt den Reihern, weiß und grau im frühen Morgenlicht zwischen dem Sumpfgras. Ein junger Storch war in Kevermes geblieben, er stand am Rand des leeren Nests und schaute in das verlassene Gewirr des herbstlichen Nestgestrüpps. Unter ihm, an der Straße, saßen die Zigeuner im letzten Sonnenschein und rauchten Pfeifen wie im Dreizigeunerland meiner Kindheit. Für den Storch würde es der erste Winter, und alles Vertraute würde ihm jetzt zur Fremde, weil er allein war und sein Winterherz an einen anderen Ort gehörte.
    Die Fohlen des Frühlings trabten unterdessen neben ihren Müttern oder an einer Leine hinter den Pferdewagen, warfen den Kopf, suchten den Takt, schliffen sich gehorsam.
    Alles wurde blass, fahl und sanft, als könnte nichts mehr schneiden, stoßen, reißen. Sandhelle Kühe weideten zwischen gilbem Schilfgras, alle Farbe war weggewischt, und die kinderlosen Ziegen lagen an ihren kurzen Ketten im Gras zwischen Straße und Pfad, milch- und mutterweiß, während man die kleinen Ziegenböcke leise zum Schlachten führte.
    Auf den Feldern standen nur noch die Sonnenblumen, schwarzbraun und raschelnd vor Verdörrung. Im Stich gelassene Heere hängender dunkler Blütenköpfe, geknickter Stängel, hingesunkener Blumen über klaffenden Rissen in der Erde. An den späten bleigrauen Hitzetagen zerflossen die fernen Reihen in den Himmel.
    Die abgeernteten Maisstängel wurden zu spitzigen unordentlichen Strohhaufen gebunden wie auf dem Feld meiner Nachbarn. Sie staken in Reihen aus der Stoppelerde, riesige Spitzhelme vergessener, verirrter Krieger, die womöglich unter diesen Helmen verkümmerten, in irgendeiner Erwartung verwesend, zerrauft und nutzlos hielten sie sich bereit, bis sie unter Wind und Schnee und dem tiefen Wintergewölk in sich zusammensackten.
    Die Nächte waren voller Hundegebell und Herbstgeruch. Tagsüber wurden Reisig und modernder Grasabfall verbrannt, der Rauchgeruch kroch in die Nacht.
    Gelegentlich suchte Zoran mich auf. Er brachte mir Ableger von Kakteen und gab Ratschläge. Ich mochte seine Pflanzen nicht und ließ sie auf der Veranda stehen, wo der Wind die blassgrünen ärmchen der flinkwurzelnden Kakteen mit Staub überzog.
    Zoran blieb ungebeten und unentschlossen auf der Veranda stehen, erzählte von Todes- und Unglücksfällen in der Umgegend und von seiner bevorstehenden Abreise nach New york.
    Ich werde mit meinem Freund arbeiten, sagte er, wir werden Schlösser reparieren.
    Manchmal flocht er deutsche Wörter in seine Berichte.
    Wo hast du deutsch gelernt?, fragte ich ihn.
    Zoran hatte in Deutschland gearbeitet.
    Ich war Kommandomann, sagte er. Ich habe einen Bunker gebaut.
    Zoran hatte einen Trupp ungarischer Arbeiter beim Bau eines Schutzbunkers kommandiert. Dem Auftraggeber, der eine Wurstfabrik besaß, mochte der Anblick der arbeitenden Schar ein kurzes Glücksgefühl vermittelt haben, wenn er an die Geborgenheit dachte, die eine solche trutzige Höhle im Falle großer Gefahr bereithielt. Ich stellte mir Zorans flackernde äuglein und den schiefen Mund
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