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Baltrumer Bitter (German Edition)

Baltrumer Bitter (German Edition)

Titel: Baltrumer Bitter (German Edition)
Autoren: Ulrike Barow
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und
winkte.
    Vorsichtig machte er Schritt für Schritt auf sie zu, setzte
sein nettestes Lächeln auf, immer noch in der Angst, das Bild könnte sich
einfach in Luft auflösen. »Hallo, ich heiße Frank, und du? Wohnst du hier?«
    Die junge Frau blickte ihn fröhlich an, gab aber keine Antwort.
Irritiert wartete er auf eine Reaktion, doch sie sagte nichts.
    »Wie heißt du?«, fragte er, plötzlich nicht mehr sicher, ob er
sie nicht besser hätte siezen sollen. »Entschuldigung, Frank Visser. Ich bin
Gast hier im Haus. Sie auch?«, versuchte er es erneut.
    Sie schwieg. Dann stand sie langsam auf, schaute ihn noch
einmal an und ging ins Haus.
    So etwas war ihm noch nie
passiert. Sprachlos starrte Frank Visser auf die blaue Plastikliege, die
ausgeblichen von der Sonne in Steenkens Garten stand. Keine Spur war mehr da
von dem Sommerwunder, das ihn eingehüllt und bis in sein Innerstes getroffen
hatte. Wer war sie? Sie konnte doch nicht einfach gehen. Ihn hier zurücklassen,
ohne ein Wort zu sagen. Für einen Moment war sie ihm wie eine Verheißung
erschienen, dann war sie davongeschwebt und hatte ihn im Garten stehen lassen.
Wo gehörte sie hin? Er würde seine Vermieterin fragen. Spätestens morgen beim
Frühstück.
    Jetzt war es Zeit zu duschen und auf Klara zu warten. Mal
sehen, ob der Abend erfolgreicher werden würde.
    *
    Sorgsam spülte Arnold Steenken das Haarsieb in dem alten
metallenen Waschbecken ab, trocknete es ab und legte es in die Schublade des
dunkelbraunen Küchenschrankes. Er schaute sich zufrieden um. Gemütlich hatte er
es in seinem Keller. Als Margot zwei Jahre zuvor ihre neue Kücheneinrichtung
bekommen hatte, hatte er die alten Schränke abgebaut und in seiner »Giftküche«
wieder aufgebaut. Nur die Spüle, die hatte er nicht ersetzt. Sie war eine
Erinnerung an die Zeit, als seine Schwiegermutter diesen Raum für die
Herstellung und Lagerung ihres Eingemachten verwendet hatte. Er hatte die Frau,
die er nie ohne ihre geblümte Kittelschürze angetroffen hatte, sehr gemocht.
    Sie hatte ihm oft erzählt, dass es für die meisten Insulaner
unvorstellbar gewesen war, in den Jahren des Aufbaus einen Raum im Haus nicht
zu vermieten, sondern als Vorratsraum zu nutzen. Doch seine Schwiegermutter
hatte an ihrem Vorrats- und Arbeitsraum eisern festgehalten. Und jetzt war es
der Ort, an dem er seine Liköre kreierte. Seine große Leidenschaft.
Walnusslikör, Honiglikör, Erdbeerlikör – alle Zutaten fein abgestimmt und in
Flaschen gefüllt.
    Er schnupperte. Sog dann tief das Aroma durch die Nase.
Glückwunsch, Arnold, dachte er. Da hast du wieder was Gutes hingekriegt. Heute
war seine neueste Schöpfung fertig geworden. Im Jahr zuvor hatte er Sanddorn
geerntet, der auf der Insel reichlich wuchs. Er durfte das. Insulaner hatten
eine Sondergenehmigung der Nationalparkverwaltung, auch in den Ruhezonen Beeren
zu pflücken. Den Sanddorn hatte er zu Saft verarbeitet und vor einigen Wochen
mit diversen Kräutern, Kandis und Korn angesetzt. Jetzt musste er nur noch
einen Namen für das Getränk finden und auf dem PC einen Aufkleber entwerfen. Er
drehte den Schraubverschluss auf die letzte Flasche und stellte sie mit einer
liebevollen Bewegung neben die anderen in die Vitrine.
    »Arnold, das Abendessen ist fertig. Kommst du?«, hörte er
Margots Stimme von oben. Glück gehabt, dachte er. Gerade fertig geworden. Nach
dem Essen würde er ein Gläschen spendieren. Seine Frau war stets die Erste, die
seine neuen Sorten probierte. Und wenn sie ihr Okay gab, dann gehörte es zu den
festen Ritualen, dass er mit seinem Kollegen Georg Hanefeld im Büro einen
Feierabendschluck nahm.
    »Ich komme«, rief er, während er immer zwei Stufen auf einmal
nehmend in die Küche lief.
    Hilda saß bereits an ihrem angestammten Platz am Kopfende des
massiven Tisches. Die Küche war seit jeher der wichtigste Raum für Familie
Steenken. Hier traf man sich, saß mit oder ohne Gäste gemütlich zusammen, löste
Probleme und feierte. Hier hatten Margot und er gesessen, als sie die Nachricht
erreichte, dass ihre Tochter Hilda am Strand von einem Sandabbruch begraben
worden war. Die Kinder hatten an den Randdünen gebuddelt, als sich ein
Sandbrett gelöst hatte. Zwei hatten den Unfall nicht überlebt. Hilda hatten die
Rettungskräfte nach einer ganzen Weile äußerlich unverletzt herausgeholt.
Seitdem sprach sie nicht mehr.
    »Hallo, meine Lieben«, sagte er fröhlich. »Ist das eine Hitze!
Eigentlich viel zu warm zum Essen. Aber wenn ich
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