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Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Gray
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ich vorhin schon sagen sollen.«
    »Aber dafür bin ich doch da.« Balthazar hatte seine Worte beinahe scherzhaft gemeint, aber es war eigentlich ganz gut, so von sich selber zu denken. Jedenfalls war das ein besserer Grund für sein Dasein als alle anderen, die er hatte.
    Er blieb noch eine Stunde draußen im warmen Glanz des Fensters, das zu Skyes Schlafzimmer gehören musste. Von ihren Eltern fehlte weiterhin jede Spur, ebenso – was noch entscheidender war – von Lorenzo.
    Sie haben schon früher hier in dieser Gegend gejagt , hatte Balthazar sich gesagt und sich die Arme um den Körper geschlungen, denn sein schwarzer Stoffmantel bot ihm mitten im Januar in der eisigen Kälte im ländlichen Teil New Yorks nur wenig Schutz. Ja, es ist zwar mindestens ein Jahrhundert her, aber trotzdem: Dies ist ein Gebiet, das Lorenzo bestens kennt. Also kann er gut und gerne aus eigenem Antrieb hierhergekommen sein. Vielleicht war Skye einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
    Diese Erklärung gefiel Balthazar am besten, denn sie bedeutete, dass Skye bereits in Sicherheit war. Lorenzos Vorhaben war erst mal vereitelt worden, und er wusste, dass Balthazar in der Nähe war, um auch alle weiteren Jagdpläne zunichtezumachen. Er würde irgendwo anders hin weiterziehen und Skye nicht noch einmal in Gefahr bringen.
    Aber vielleicht war die Sache doch nicht so einfach.
    Er schaute zu Skyes Fenster hinauf, und einen Moment lang konnte er ihre schlanke Silhouette vorbeihuschen sehen. Selbst ihr volles Haar, das ihr über die Schultern fiel, war deutlich zu erkennen und überraschend verlockend. Gerade als Balthazar das schuldbewusste Gefühl hatte, ihr eher nachzuspionieren als sie zu bewachen, schaltete sie das Licht aus.
    Sofort wurde er wachsamer. Wenn Lorenzo zurückgekommen wäre, dann wäre dies der Moment, in dem er zuschlagen würde – nämlich dann, wenn er glaubte, sie arglos vorzufinden. Balthazar umrundete das Haus: ein großes, modernes Gebäude, augenscheinlich an den Ausläufern der Stadt. Er lauschte aufmerksam, nicht nur mit seinen Ohren, sondern mit all seinen Sinnen einschließlich jenem, der einem Vampir verriet, wenn jemand seinesgleichen in der Nähe war.
    Nichts.
    Schließlich entschied er, dass er das Risiko eingehen konnte, sich selbst etwas zu essen zu besorgen. Auch wenn er es weder Skye noch sonst jemandem gegenüber – nicht einmal einem anderen Vampir – laut zugegeben hätte, war sein Appetit geweckt, seitdem er in Skyes Nähe gewesen war, während sie blutete.
    Wie er das hasste! Ein hübsches, junges Mädchen anzusehen, sie zu mögen, ihr helfen zu wollen, und doch nicht vergessen zu können, dass ein Teil von ihm sie als Beute betrachtete.
    Balthazar marschierte ein Stück in den Wald unmittelbar hinter dem Grundstück ihres Elternhauses hinein und sog die kalte Winterluft ein. Er roch Kiefern, Erde, eine Vielzahl von Vögeln – zumeist Eulen und Spatzen, die sich nur schwer fangen ließen und beim Verzehr nicht viel Vergnügen bereiteten –, den Schweiß des Pferdes von den vergangenen Anstrengungen, eine Spur von Skyes zartem Parfüm, und noch etwas Animalischeres, das nach Moschus roch. Dort. Wild. Und zwar ganz in der Nähe.
    Hunger nagte an Balthazar, und er drang tiefer in den Wald ein; dann begann er zu rennen, wobei er sich so vorsichtig wie möglich bewegte, um seine Beute nicht aufzuschrecken. Er malte sich bereits aus, wie das dickflüssige Blut seinen Mund ausfüllte, ihn bis aufs Mark erwärmte und ihm wieder den Schatten von Leben zurückgab, nach dem er sich so entsetzlich sehnte …
    Aber er konnte das Blut in dem Körper des Rehs nicht riechen, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Balthazar blieb ein paar Schritte vor dem Kadaver stehen, der in der mitternächtlichen Dunkelheit beinahe unsichtbar war. Das tote Tier lag im Schnee, den Hals in unnatürlichem Winkel verdreht. Es war kein Herzschlag zu hören.
    Obwohl Balthazar die typische Enttäuschung eines Jägers verspürte, dem seine Beute durch die Lappen gegangen war, kniete er sich neben das verendete Reh, um es sich genauer anzusehen. Sein Hals war aufgerissen worden, und zwar vermutlich schon vor Stunden, und nur die strenge Kälte hatte den Verwesungsprozess so weit verlangsamt, dass Balthazar den Geruch von Verwesung noch nicht hatte wittern können. Jeder einzelne Tropfen Blut war ausgesogen worden.
    Als er die Hand über das Fell des Rehs gleiten ließ, konnte er Bissspuren ertasten: Dutzende davon. Und
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