Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
zurückgefallen war und immer langsamer ging.
    In der Tür über ihm erschien ein Schatten. Er war eigentlich viel zu groß, um in die Tür hineinzupassen: ein Riese von mehr als zwei Metern, die noch einmal um ein gutes Stück vom gewaltigen Schwingenpaar übertroffen wurden, das sich über seinen Schultern spannte, aber er stand trotzdem dort oben, aller Logik zum Spott. Er war vollkommen dunkel, nicht schwarz, sondern dunkel, wie ein Wesen, das nicht in dieses Universum gehörte und von dessen Licht nicht erhellt werden konnte.
    Lech sah das Ding im gleichen Augenblick wie er und schrie entsetzt auf, riß aber zugleich auch seine Waffe in die Höhe. Haymar wollte sie beiseite schlagen, aber der Anblick des geflügelten Kolosses dort oben lahmte ihn für einen Sekundenbruchteil. Seine Bewegung kam zu spät. Lech riß den Abzug durch, und der Feuerstoß jagte heulend und nur um Haaresbreite an Andres vorbei. Mindestens eine der Kugeln traf ihn, denn er schrie ebenfalls auf und taumelte gegen die Wand, während die übrigen Geschosse rechts und links des schwarzen Ungeheuers gegen den Stein prallten und Funken schlugen. Falls das Monstrum getroffen worden war, zeigten diese Treffer nicht die mindeste Wirkung.
    Andres begann an der Wand zusammenzusacken, aber bevor er den Boden erreicht hatte, hob der schwarze Riese den Arm und streckte die Hand in einer zornig deutenden Bewegung nach ihm aus, und plötzlich erstrahlte die Treppe in loderndem Feuerschein. Eine gleißende Lohe hüllte Andres ein, riß ihn in die Höhe und schleuderte ihn brennend und mit weit ausgebreiteten Armen in die Tiefe.
    Haymar warf sich entsetzt zur Seite, als Andres wie ein lebendes Feuerkreuz auf ihn zuflog, prallte gegen die Wand und riß die Arme vor das Gesicht. Etwas Weiches, unglaublich Heißes streifte seine Hüfte und riß ihn von den Beinen. Er fiel, hörte Lech schreien und sah aus den Augenwinkeln, wie Andres' Leichnam weit unter ihnen auf den Treppenstufen aufschlug und brennend weiterrollte. Seine Arme und Beine pendelten wie die Glieder einer Stoffpuppe, was für einen Moment den grauenhaften Eindruck erweckte, als lebe er noch. Aber er konnte nicht mehr leben. Lechs Schüsse mußten ihn getötet haben, und wenn nicht sie, dann spätestens der fürchterliche Aufprall auf der Steintreppe. Er durfte nicht mehr leben. Haymar gestattete sich nicht, diesen Gedanken auch nur zu denken.
    Keuchend stemmte er sich hoch und sah nach oben. Der Schatten war verschwunden, die Tür wieder nichts als ein helles, von weißem Licht erfülltes Rechteck. Wäre da nicht der Feuerschein gewesen, der Andres' brennenden Leichnam umgab, hätte alles nur ein Alptraum sein können.
    »Haymar!« wimmerte Lech. »Was... was war das? Was ist das für ein Ding?«
    Er war am Ende seiner Kraft. Wie Haymar war er an der Wand zu Boden gesunken. Er zitterte am ganzen Leib, und in seinen Augen flackerte etwas, das fast so heiß und verzehrend war wie das Feuer unter ihnen.
    »Reiß dich zusammen!« fuhr Haymar ihn an. »Es ist der Junge, verstehst du? Wir müssen ihn erwischen! Wir müssen ihn umbringen, oder er tötet uns! «
    Die letzten Worte hatte er geschrien, aber er war nicht sicher, ob Lech sie überhaupt gehört hatte. Er hockte noch immer zitternd am Boden und starrte aus weit aufgerissenen Augen dorthin, wo der schwarze Engel gestanden hatte.
    Haymar versuchte nicht noch einmal, ihn aus seiner Erstarrung zu reißen. So schnell er konnte, richtete er sich auf, fuhr herum und begann die Treppe hinunterzurennen.
    56. Kapitel
    B remer starrte fassungslos auf das Buch. Es war an der Stelle aufgeklappt, an der es jahrelang aufgeschlagen irgendwo hier gelegen haben mußte, ohne daß irgend jemand es bemerkte oder begriff, was er da sah. Bremer begriff es nur zu gut.
    Die Zeichnung zeigte den Engel. Seinen Engel. Den schwarzen Giganten, den er gesehen und der ihn gejagt hatte. Es mußte ein Holzstich aus dem Mittelalter sein, oder zumindest eine sehr geschickte Kopie, denn das Bild wirkte auf jene Weise zugleich ungelenk und grob wie auch ungemein dynamisch und lebendig, wie es manchen dieser alten Stiche eigen war. Eine hochgewachsene, dunkle Gestalt mit Klauenhänden und riesigen schwarzen Flügeln, die wie aus Stahl geschmiedet aussahen, eher Klingen als Federn. Sie trug ein bodenlanges Gewand, das nur die nackten Füße sichtbar ließ, und das Gesicht war nicht zu erkennen. In kalligraphischen, geschwungenen Buchstaben stand darunter: AZRAEL.
    »Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher