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AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

Titel: AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
Autoren: Gill Gartenstadt
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doch gar nicht. Ich bin ein echter Mensch, und ich möchte als schlechte digitale Kopie meiner selbst, die ich in irgendwelche künstlichen Partnerbörsenvorlagen gegossen habe, sei es ein Psychologietest oder ein 100 Fragen-Fragebogen, nicht länger existieren. Ich klappe meinen Computer auf und lösche mein Profil auf Schnappie. Das war’s. Ich will auf diesem Wege keinem Menschen mehr begegnen.
     
    Donnerstag, 22. November 2012
    Die letzten Wochen habe ich hin und wieder an meinen Aufzeichnungen geschrieben und auch versucht, die Zeit bei Schnappie zu rekonstruieren, weil ich spontan und voller Wut alles gelöscht hatte. Das ein oder andere, das mir wichtig erschien, hatte ich allerdings zuvor schon abgespeichert. Ich muss gestehen, dass ich, um den Überblick zu behalten, für jeden Mann einen Ordner auf meinem Computer angelegt habe. Die beschriebenen Kontakte sind übrigens nur ein Auszug aus dem letzten Jahr, es hat noch sehr viele mehr gegeben. Dabei war das immer mein persönlicher Alptraum, einem Mann zu begegnen, der für all seine Frauenkontakte Karteikarten anlegt. Mittlerweile kann ich am Anzeigentext erkennen, wie lange jemand sucht. »Glas halb voll, humorvoll, kinder- und tierlieb, auf Augenhöhe, gute Figur in Jeans UND Anzug, meine Freunde sagen über mich..., etc...« sind Anfängerfehler oder stammen von tumben Toren. 50 % der Männer, deren Profile ich bei Stelldichein gelesen habe, starten mit einem Rührei ins glückliche Wochenende. Und wenn sie ein Kunstwerk wären, dann natürlich »die FETTECKE von Boies«. (Joseph Beuys).
    Seit fast einem Monat habe ich das Online-Dating aufgegeben, und mir geht es gut. Glück empfinde ich in alltäglichen Freuden, die mir meine Kinder schenken. Neulich haben sie heimlich hinterm Vorhang genascht. Sie kamen freudestrahlend und mit schokoladenverschmierten Mündern zu mir gerannt, um mir sofort von ihrem Geheimnis zu berichten. Gottlob empfange ich keine Emotionen von Fremden mehr und schaue kaum noch auf mein Smartphone. Nachts kann ich es wieder ausschalten. Aber ich ertappe mich jeden Morgen dabei, wie ich es voller Hoffnung wieder einschalte, vielleicht hat sich Marc gemeldet? Die einzige Begegnung, die mich bei der Partnersuche wirklich berührt hat. Ich weiß bis heute nicht, ob er etwas Gutes für mich empfunden hat, oder ob er mich gehasst hat, vielleicht, weil er mich über Stelldichein kennengelernt hat.
     
    Sonntag, 2. Dezember 2012
    Abend.
    Ich schaue auf die ersten Zeilen meiner Aufzeichnungen und stelle fest, dass ich genau vor einem Jahr begonnen habe. Über 250 Seiten sind daraus geworden. Genau vor einem Jahr kam Marcs Kontaktanfrage. Ich werde etwas traurig darüber, dass ich es erst jetzt bemerke, ich hätte gerne tagsüber schon daran gedacht. Nach einem Jahr habe ich keinen Mann gefunden, und auch das Endergebnis in sexueller Hinsicht ist ja eher mau. Bezaubernde Küsse nur beim ersten Date von einem Mann, der sich mit einem lauten Popoknaller irgendwann im Sommer wieder verflüchtigt hat. Aber was soll’s. Dafür habe ich in der Zeit, die ich gerne mit ihm, oder einem anderen, mir noch unbekannten Mann, verbracht hätte, ein Buch geschrieben. Andere stricken in ihrer Freizeit. Oder halten sich in der Sauna warm.
     
    Nacht.
    Ich liege wach. Warum hat Marc sich nicht mehr gemeldet? Was ist schief gelaufen? Bin ich seiner Liebe nicht würdig? Wertlos für eine Freundschaft? Nutzlos für einen Job? Diese Fragen kann ich kaum noch ablegen. Er ist mit dem Bild von mir, nackt auf dem Sofa liegend, weggelaufen und nie wieder aufgetaucht. Flüchtig. Wie ein Sittenstrolch. Plötzlich der Gedanke. Geht es ihm schlecht? Verbietet er sich den Kontakt zu mir, weil seine Probleme einfach zu groß sind? Hat sein Verhalten vielleicht einen edlen Hintergrund? Wird er eines Tages hier klingeln und mir sein Buch schenken? Die Idee, dass er mich genauso vermissen könnte, wie ich ihn, sprengt meine Vorstellungskraft. Ich kann es nur kurz denken, für einen Moment nur glauben, aber dann weichen meine Gedanken wieder ab. Nein. Es ist ganz einfach. Er will mich nicht. Warum auch immer. Er hat mich bloß als MILF BING 71 abgespeichert und wieder gelöscht. Meine Stirn juckt ganz furchtbar, mein Friseur hat mir bei der letzten Tönung eine Fettcreme aufgetragen, damit keine schwarze Farbe haften bleibt. Jetzt habe ich da eine Akne entwickelt. Seit zwei Wochen. Morgen gehe ich zum Arzt. Schlafen kann ich nicht mehr, es ist schon nach 3 Uhr. Mir fällt was
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