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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt
Autoren: James W. Nichol
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Anbaus.
    Er stand auf und ging durch das lange Gras auf diese Fenster zu.
    Sie lagen über seinem Kopf. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt sich an einem der metallenen Fensterbretter fest und zog sich hoch.
    Er sah Aquarien und Reihen blauen fluoreszierenden Lichts vor sich. Der ganze Raum wirkte, als wäre er unter Wasser, überflutet von zitterndem Licht.
    Robert Nuremborski saß in seinem Rollstuhl und starrte vor sich hin, für immer gefangen in seiner eigenen Wasserwelt. Ein dünner Arm hing kraftlos herunter, der Kopf war ein wenig zur Seite geneigt, die Augen waren offen, aber blind.
    Walker fragte sich, wie es wohl wäre, wie Robert zu sein. Nur dahinzutreiben. Sich an nichts zu erinnern, nichts zu bedauern, keine Schmerzen und keine Schuldgefühle zu haben.
    Man müsste nichts sagen, nichts tun, nichts fühlen.
    Roberts Telefon läutete.
    Walker konnte es deutlich durchs Fenster hören. Es läutete noch einmal.
    Walker erwartete, dass irgendwoher ein Pfleger auftauchen und abheben würde. Aber kein Pfleger kam.
    Wieder läutete das Telefon. Langsam richtete Robert sich auf. Seine Hand stützte sich auf die Armlehne des Rollstuhls. Mit einiger Anstrengung stand er auf und ging auf unsicheren Beinen durchs Zimmer, mühsam das Gleichgewicht haltend wie eine Aufziehpuppe. Er hob den Hörer ab. Einen Augenblick lauschte er, dann wandte er sich langsam um und sah Walker direkt ins Gesicht.
    Robert lächelte.
    Walker zog den Kopf ein und ließ sich zu Boden fallen. Er wusste nicht, ob er davonrennen oder bleiben sollte, wo er war.
    Und dann war es auch schon egal.
    Etwas blitzte vor seinen Augen auf, so schnell, dass er nicht erkennen konnte, was es war, legte sich um seinen Hals und zog sich zusammen. Er fiel zu Boden. Direkt über ihm hing ein Gesicht in der Dunkelheit, ausdruckslos und weiß wie der kalte Novembermond. Und alles wurde schwarz.
    Unmittelbar darauf, so kam es Walker zumindest vor, erschien ein schwaches Licht aus unendlicher Dunkelheit. Aber kein richtiges Licht, nur eine Reflexion, dachte er. Auf Chrom. Auf Milchglas.
    Er bemühte sich, die Augen zu öffnen. Es war eine Deckenlampe. Sie war nicht eingeschaltet, sondern spiegelte nur Lichter wider, die von irgendwoher kamen. Bewegte Lichter.
    Lange starrte er auf das Licht und versuchte, etwas zu verstehen. Doch er konnte sich nicht erinnern, was er verstehen wollte. Er hörte das leise Brummen eines Automotors, atmete den schweren Duft von weichem Leder.
    Langsam erkannte er, dass seine Beine sich unter seinem Körper befanden, die Arme hinter dem Rücken. Seine Hände konnte er nicht fühlen. Alles fing an, ihm weh zu tun. Er versuchte zu schlucken, doch der Schmerz war schier unerträglich, brannte hinunter bis zur Brust.
    Er drehte ein wenig den Kopf.
    Er befand sich in einem Auto, auf dem Boden. Soviel stand fest. Ein großes Auto. Viel Platz. Das Licht von Straßenlampen und Scheinwerfern flackerte vorüber, und da sah er die Kante einer gelbkarierten Decke, und eine Gestalt, die tiefer im Dunkeln saß.
    Eine Stimme ertönte aus der Dunkelheit, wie ein Flüstern oder ein langer Seufzer. »Willkommen daheim«, sagte sie. Die Gestalt bewegte sich, und Robert Nuremborskis bleiches Gesicht erschien im flackernden Licht. Er sah Walker mit glänzenden Augen an.
    »Willkommen daheim«, flüsterte er noch einmal.
    Walker antwortete nicht. Er lag auf dem Rücken, sein Kopf stieß gegen die Tür, Arme und Beine waren unter den Rumpf gebogen. Seine Muskeln brannten.
    Er schloss die Augen. Was sollte er sagen? Was willst du? Was hast du vor? Eine interessante Frage, leider konnte er sich die Antwort schon denken.
    »Du hast mich überrascht«, sagte Robert, »mit deiner Hartnäckigkeit.«
    Walker öffnete wieder die Augen.
    Robert beugte sich zu ihm. Er streckte einen dünnen, zitternden Arm aus und berührte Walkers Gesicht. Die Hand war wie Eis. Sie bebte über Walkers Nase, seine Wangen, seine Lippen.
    Walker rührte sich nicht.
    »Wolltest du eigentlich jemals ein Mädchen sein?«, fragte Robert.

[home]
    34
    1985
    B obby saß neben Walker, blickte auf die vorbeiziehenden Lichter und erinnerte sich.
    Diesen Schrei würde er nie vergessen. Er kam nicht aus dem Mund des Mannes seiner Schwester, denn der konnte nicht schreien, sein Mund war zugestopft. Seine Arme waren über seinem Kopf zusammengebunden. Er starb langsam.
    Nein. Der Schrei kam von seiner Schwester.
    Sie hatte auf dem Waldweg hinter dem Schuppen gestanden. Da hätte sie aber
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