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Ausgeloescht

Ausgeloescht

Titel: Ausgeloescht
Autoren: Cody Mcfadyen
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Vertrautheit, die ich normalerweise erreiche - dieses Gefühl, beinahe zu dem zu werden, was Verrückte wie Mercy ausmacht -, fehlt diesmal. Wenn ich versuche, Mercy zu verstehen, ist es, als würde ich in eine schwarze Leere blicken. Es ist, als versuchte ich, mich mit dem Nichts zu vermischen.
    »Fahren Sie fort.«
    »Deshalb habe ich mich mit den direktesten Methoden befasst. Diebstahl. Bankraub. Handel mit Rauschgift oder mit Frauen. Sie alle hatten ihre Vor- und Nachteile, aber eines ließ sich nicht bestreiten: Die meisten Kriminellen enden im Gefängnis. Es ist fast unausweichlich. Statt mir ein kriminelles Unternehmen auszusuchen und zu planen, wie ich der Festnahme entgehe, habe ich beschlossen, mir die Faktoren anzusehen, die zu diesem Ergebnis führen, und meine Methodik von dort abzuleiten.
    Ich habe viel Zeit darauf verwendet, die Gründe aufzulisten, weshalb Verbrecher im Gefängnis enden. Auf zwei Gründe kam ich immer wieder als gemeinsame Nenner zurück. Einer ist teilweise eine Antwort auf eine Frage, die Sie nicht gestellt haben: Wieso ich immer einen Plan hatte, um mich aus dem Geschäft zurückziehen zu können.«
    Jetzt kommen wir weiter. Das ist wichtig. Ich spüre es.
    Sie mustert mich einen Augenblick lang, als müsste sie entscheiden, ob sie mich wirklich an ihren Erkenntnissen teilhaben lassen will. »Der erste wurde zu einer Art Axiom. Ich habe ihn sogar entsprechend formuliert. >Eine stärkere oder schwächere Unfähigkeit, die Faktoren der Umgebung, in denen das Verbrechen verübt wird, zu definieren und zu kontrollieren. <«
    Nun ist es an mir, die Stirn zu runzeln. »Tut mir leid, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Nehmen wir einen Einbrecher, der in Privathäuser eindringt. Jedes Mal, wenn er sein Verbrechen begeht, betritt er eine fremde Umgebung. Es ist nicht seine Umgebung. Sie gehört ihm nicht. Sosehr er auch plant - an dem Tag, ehe er in das Haus einbricht, könnte sich etwas geändert haben. Vielleicht hat sich die Familie ausgerechnet an diesem Morgen einen Hund gekauft, oder der Familienvater hat endlich seiner Frau nachgegeben und den Vertrag mit der Sicherheitsfirma unterschrieben.«
    »Aber wenn Sie eine Frau entführten, haben auch Sie eine Umgebung betreten, die nicht die Ihre war«, wende ich ein.
    »Richtig. Aber denken Sie daran, was ich gesagt habe: Man kann nie sämtliche Faktoren kontrollieren. Man kontrolliert nur so viele, wie man kann. Wenn Sie sich mein Geschäft genau ansehen, werden Sie erkennen, dass ich jeweils nur zweimal die Umgebung verlassen musste, die ich kontrolliert habe: Erstens, wenn ich die Frauen entführt habe. Zweitens in den seltenen Fällen, in denen ich Ehemänner bestrafen musste, die nicht zahlen wollten. Bei allem anderen entschied ich, ob, wo, wann und wie etwas geschah, und zwar innerhalb der Umgebung, die ich geschaffen hatte.
    Eine der Variablen in einem ungewohnten Umfeld - und zwar die, die am wenigsten vorhersehbar ist -, ist der menschliche Faktor. Je mehr Leute beteiligt sind, desto weniger Kontrolle besitzt man, ganz gleich, wie gut man plant. In meinem Geschäftsmodell wird der menschliche Faktor sehr, sehr klein gehalten. Ich, die Ehemänner, die Frauen. Das ist alles. Kontrolle der Umgebung.«
    Mercys Argumentation weist hundert mögliche Löcher auf, doch ich erinnere mich, was Callie über Mercys Einschätzung von Risiko und Profit gesagt hat, und komme zu dem Schluss, dass sie recht hatte. Mercy hat akzeptiert, dass ein Nullrisiko unmöglich ist, und deshalb war es auch gar nicht ihr Ziel. Ihr Ziel war ein möglichst geringes Risiko bei möglichst hohem Gewinn.
    »Was war der zweite Faktor?«, frage ich.
    »Die Antwort auf Ihre ursprüngliche Frage: Zeit. Wenn man nur einmal in seinem Leben mordet, ist die Wahrscheinlichkeit, damit durchzukommen, erheblich höher, als wenn man jedes Jahr einmal mordet. Mordet man einmal im Jahr, ist die Wahrscheinlichkeit, gefasst zu werden, erheblich geringer, als wenn man einmal im Monat mordet, und so weiter. Das Gleiche gilt, wenn man zu lange im Geschäft ist. Deshalb hatte ich den Pensionsplan formuliert, bevor ich überhaupt begann.
    Aus einem anderen Blickwinkel kann man sagen: Wenn man einen Wertgegenstand stiehlt und ihn eine Woche später verkauft, hat man schlechtere Chancen, straflos davonzukommen, als wenn man ein Jahrzehnt lang wartet. >Hast ist Gier<, sagte mein Vater immer.« Sie nickt, in ihre Erinnerungen versunken. »Mein Geschäftsmodell war nicht perfekt,
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