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Ausgelöscht

Ausgelöscht

Titel: Ausgelöscht
Autoren: K Ablow
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die Arme und schaute hinaus auf die Skyline von Boston. Eine Weile herrschte Schweigen, dann schüttelte er den Kopf. »Sie wären nicht hier, wenn die Polizei sicher wäre, dass es Selbstmord war«, erklärte er. »Sie sagen, dass eine reelle Chance besteht, dass mein Patient ermordet wurde. Er könnte tatsächlich vorgehabt haben, den Weg mit mir zusammen bis zum Ende zu gehen.«
    Für Heller schien sich an der Frage von Snows Todesursache zu entscheiden, ob Snow ihn im Stich gelassen hatte oder nicht. »Ich kann es jetzt noch nicht sagen«, erwiderte Clevenger. »Ich muss erst mehr darüber erfahren, wer er war – und ob es jemanden gibt, der seinen Tod gewollt haben könnte.«
    »Und Sie müssen sorgfältig vorgehen. Sie müssen versuchen, jede noch so unbedeutende Information über ihn zu finden.«
    »Auch ich mache gern saubere Schnitte«, bemerkte Clevenger.
    »Dann sollten Sie etwas wissen.« Heller drehte sich um und sah Clevenger an. »John hätte heute im OP mehr als sein Sprach- oder Sehvermögen aufs Spiel gesetzt.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Heller schien unsicher, wie viel er preisgeben wollte.
    »Bestand eine Gefahr für sein Leben?«, fragte Clevenger.
    »Man könnte es so ausdrücken«, sagte Heller. Er kehrte zu seinem Sessel zurück und setzte sich. »Was ich Ihnen jetzt sage, muss unter uns bleiben. Es fällt unter die ärztliche Schweigepflicht. So wie ich es sehe, sind Sie in gewisser Hinsicht Johns Psychiater – post mortem. Das hier ist eine informelle Konsultation. Von Arzt zu Arzt.«
    »Okay«, stimmte Clevenger zu. »Von Arzt zu Arzt.«
    Heller beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seine Schenkel. »Zu den Abschnitten des Gehirns, die für Johns Anfälle verantwortlich waren, gehörten unter anderem der Hippocampus, der Gyrus cinguli und die Amygdala«, erklärte er. »Das sind auch die Bereiche, die vorrangig für Gesichtserkennung und die emotionalen Komponenten der Erinnerung zuständig sind – zumindest wenn man den Tierstudien Glauben schenkt, die derzeit an der UCLA und der University of Minnesota laufen. Es sind vorläufige Studien, aber es scheint sich mehr und mehr herauszukristallisieren, dass diese Strukturen die Datenbank sind, in der wir speichern, wen wir kennen und was wir für die betreffende Person empfinden. Ich glaube, erste Forschungsergebnisse werden in zwei, drei Monaten in
Neurosciences
veröffentlicht werden.«
    »Sie sagen also, Snow hätte unter Amnesie leiden können?«
    »Einer sehr weit greifenden und speziellen Form von Amnesie«, sagte Heller. »Sein Gedächtnis für Fakten wäre unbeeinträchtigt geblieben. Sein Intellekt hätte überlebt. Sein Ideenreichtum hätte ungeahnte neue Höhen erreichen können. Doch er wäre allein gewesen. Die Operation hätte sehr wahrscheinlich alle, mit denen er eine emotionale Verbindung hatte, in Fremde verwandelt – seine Frau, seine Kinder, einfach alle.«
    Diesmal war Clevenger derjenige, der sich interessiert vorbeugte. »Er hätte also weiterhin Erfinder sein können, aber er hätte sich nicht an die Menschen erinnert, die ihm nahe standen. Eine Art zwischenmenschlicher Amnesie.«
    »Ganz genau«, bestätigte Heller.
    »Und trotzdem war er bereit, sich der Operation zu unterziehen?«
    »Das dachte ich zumindest – bis heute Morgen. Sein Leben war … schwierig. Er und sein Geschäftspartner – Coroway – waren zerstritten über Coroways Absicht, mit dem Unternehmen an die Börse zu gehen. John war absolut dagegen. Er wollte von niemandem kontrolliert werden, erst recht nicht von Erbsenzählern. Und seine Ehe war zerrüttet.« Er verstummte, abermals unsicher, wie viel er preisgeben sollte.
    »Ich muss alles wissen«, hakte Clevenger nach.
    Heller sah ihm in die Augen. »Er hatte eine Geliebte. Ich glaube, er sah die Operation als eine Chance auf Wiedergeburt, eine Chance, allem zu entfliehen.«
    »Zu entfliehen …«, wiederholte Clevenger nachdenklich.
    »All den losen Enden in seinem Leben. Der Unordnung. Allem, was kaputt war. Er hatte Vorsorge getroffen – eine Art Patientenverfügung gemacht. Er wollte seinen Kindern ihre Erbteile auszahlen, seine Frau finanziell abfinden, einen klaren Schlussstrich ziehen.«
    »Und die Ethikkommission hatte nichts dagegen einzuwenden?«, fragte Clevenger. »Kommt das nicht einer selbst gewählten Amnesie gleich?«
    »Sie haben sich nicht damit beschäftigt«, erklärte Heller und lehnte sich zurück.
    »Sie haben sich nicht damit beschäftigt, oder Sie haben es
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