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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen
Autoren: Rebecca Makkai
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George W. Bush zu dir gekommen und hat Fragen gestellt?«
    »Ich glaube nicht, dass die Regierung ein besonderes Interesse an Bilderbüchern hat.«
    »Sagen wir mal so: Wenn ein Mann mit dunkler Hautfarbe und einem dunklen Bart ein Buch über die Herstellung von Bomben ausleiht, ruft dein Chef dann das FBI an? Ist das FBI schon im Computer?«
    Ich war sicher, sollte die Regierung Loraine kontaktieren, wäre sie eine der wenigen Bibliothekare des Landes, die gern kooperieren würden. »Ich habe keine Ahnung. Wenn sie dich einmal nach Unterlagen fragen, bestrafen sie dich mit einem lebenslänglichen Maulkorberlass.«
    »Lucy, hör zu. Das sind Taktiken im sowjetischen Stil. Wenn du einen Kopf auf den Schultern hast, solltest du dich so schnell wie möglich von diesem Bibliotheksgeschäft trennen. So fängt es an mit dem Ärger.« Ich hatte in der letzten Zeit viele KGB -Vergleiche gehört, vor allem von Rocky, doch mit einem russischen Akzent hörte sich das an wie in einer alten Comedy-Nummer von Yakov Smirnoff. (In Sowjetrussland verrät dir ein Buch aus der Bibliothek keine Geheimnisse, sondern es verrät deine.)
    »Ich bin deiner Meinung«, sagte ich. »Aber sie kümmern sich nicht die Bohne darum, wer Dr. Seuss ausleiht.«
    »Diese Bibliothekare in den Nachrichten haben ihre Unterlagen geschreddert und Dateien in ihren Computern gelöscht. Das ist allerdings auch keine gute Idee. Was das angeht, kannst du dich auf mich verlassen, als Opfer der Sowjets. Du bist verdammt, wenn du ihnen hilfst, und du bist verdammt, wenn du gegen sie kämpfst. Das ist keine gute Zeit, um in einer Bücherei zu arbeiten.«
    »Doch, natürlich«, sagte ich. »Wegen der sehr guten Bezahlung. Ich werde mich einfach ducken.«
    Trotzdem wäre ich natürlich glücklicher, wenn wir noch die alten Ausleihkarten in ihren Papiertaschen benutzen würden. Diese könnte man im Notfall verbrennen oder aus dem Fenster werfen, wenn die Verfassungsschützer anrücken, oder einfach gegen die Karte von Misty, das Pony von der Insel austauschen. Ich war dafür, dass man die Terroristen schnappt, aber nicht, wenn man dafür die Bibliotheken von Tempeln der Information in Mausefallen verwandelte. Vielleicht tendierte ich dazu, die Meinungsfreiheit höher einzuschätzen als andere Bibliothekare, weil ich keinen Abschluss in Bibliothekswissenschaften hatte. Und natürlich hatte ich die Angst meines Vaters vor Big-Brother-Regierungen verinnerlicht.
    Dass ich mich nach den alten Ausleihkarten sehnte, hatte auch etwas mit Nostalgie zu tun. Viele meiner älteren Bücher hatten sie noch, sie waren einfach hinten im Buch geblieben, als wir 1991 auf Computer umstellten. Auf diesen Karten standen die Namen aller Kinder, die das Buch in den Monaten oder Jahren oder sogar Jahrzehnten zuvor gelesen hatten. Und dann hörte das einfach auf, als hätte die Zivilisation ein abruptes Ende gefunden. Wenn ich die Bücher ins Regal räumte, las ich immer wieder die Namen und entdeckte, dass bestimmte Namen auf Hunderten von Karten auftauchten. Allie Ryston, zum Beispiel, die 1989 etwa zehn Jahre alt gewesen sein musste, schien jedes Pferdebuch gelesen zu haben, das je geschrieben wurde. Ein anderes Kind lieh Ellen Tebbits sechs Mal in zwei Jahren aus. Diese Listen katalogisierten die besten Köpfe einer jeden Generation – die von sich aus motivierten, belesenen, neugierigen und unersättlichen. Würden wir sie jetzt noch benutzen, würde Ians Name in der Hälfte der Bücher auftauchen.
    »Lucy, ich sage dir, was du tun sollst. Als Erstes kündigst du in der Bibliothek und suchst dir einen neuen Job. Dann schreibst du Artikel für alle möglichen Zeitungen. Du bist klüger als die meisten Bibliothekare, und du bist in der Lage, einen ausgezeichneten Brief zu schreiben, der erklärt, was an dem amerikanischen Anti-Terror-Gesetz falsch ist. Pressefreiheit!«
    »Vater, das haben viele schon versucht. Tausende und Abertausende von Menschen.«
    »Ach, aber du besitzt die persönliche Erfahrung einer Bibliothekarin, und du kannst sagen, wie dich das alles beeinflusst hat!«
    »Es hat mich überhaupt nicht beeinflusst.«
    »Lucy, du bist sechsundzwanzig Jahre alt, klar? Du musst dich fragen, was du in all diesen Jahren gemacht hast. Als ich sechsundzwanzig war, hatte ich ein illegales kapitalistisches Geschäft, das den Sowjets trotzte. Dann musste ich vor den verdammten Sowjets fliehen, riskierte Leib und Leben und musste im Land der Helden neu anfangen, klar? Wenn das hier also
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