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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Hause fuhren. Die Agenten stiegen schon meilenweit vor den Stationen aus, wo die Banker und die Aktienmakler ihre Paläste in den teuren Vororten stehen hatten. Saßen sie ihnen gegenüber, dachten sie gewöhnlich über eine zweite Hypothek und vielleicht sogar einen zweiten Job nach und malten sich dann aus, wie viele Jahre sie nebenher als Privatdetektiv tätig sein müssten, um die magere Pension aufzubessern, die ihnen die Regierung bezahlen würde. Und die Bankbonzen ihnen gegenüber lächelten selbstgefällig. Und deshalb war man im Büro durchaus glücklich und zufrieden, wenn einer oder zwei von ihnen ins Trudeln gerieten. Als aus einem oder zwei zuerst zehn und dann zwanzig und später Hunderte wurden, machte man sich sogar eine Art Sport daraus.
    Der einzige Nachteil dabei war, dass es harte Arbeit bedeutete. Wahrscheinlich machte es mehr Mühe, sie festzunageln, als irgendetwas sonst. Und da war Holly Johnson aufgetaucht, und seitdem ging alles ein wenig leichter. Sie hatte das Talent dafür. Sie brauchte nur einen Blick auf eine Bilanz zu werfen und wusste dann sofort, ob etwas daran nicht hasenrein war. Fast schien es so, als ob sie es riechen könnte. Sie saß einfach an ihrem Schreibtisch, sah sich die Papiere an, legte den Kopf etwas zur Seite und dachte nach. Manchmal tat sie das stundenlang, aber wenn sie dann mit Denken aufhörte, wusste sie ganz genau, was im Busch war. Und dann erklärte sie es in einer Fallbesprechung. So wie sie es darstellte, klang es ganz einfach und logisch, als könnte überhaupt niemand auch nur die leisesten Zweifel daran haben. Sie war eine Frau, die vorwärts kam. Sie war jemand, der Fortschritte machte. Sie war jemand, dem ihre Kollegen es zu verdanken hatten, wenn sie sich abends in ihren Vorortszügen besser fühlten. Und das machte sie populär.
    Als Vierter traf in dem Konferenzraum im zweiten Stock der Agent ein, der damit betraut worden war, Holly allgemein behilflich zu sein, bis sie sich von ihrer Fußballverletzung erholt hatte. Er hieß Milosevic. Schlank gebaut, leichter Westküstenakzent. Keine vierzig, legere khakifarbene Designerklamotten, Gold um den Hals und am Handgelenk. Er war
ebenfalls ein Neuzugang, den man kürzlich in das Chicagoer Büro versetzt hatte, weil die Leitung des FBI der Ansicht war, dort Finanzleute zu brauchen. Er reihte sich in die Kaffeeschlange ein und sah sich im Raum um.
    »Scheint sich zu verspäten«, sagte er.
    Der Anwalt reagierte darauf mit einem Schulterzucken, das Milosevic erwiderte. Er mochte Holly Johnson. Er arbeitete jetzt seit fünf Wochen mit ihr zusammen, seit dem Unfall auf dem Fußballplatz, und hatte jede Minute dieser Zusammenarbeit genossen.
    »Gewöhnlich verspätet sie sich nie«, sagte er.
    Als Nächster traf Brogan ein, Hollys Abteilungsleiter. Irischer Herkunft, aus Boston, via Kalifornien. Auf der jungen Seite der mittleren Jahre. Dunkles Haar, rotes Irengesicht. Zäher Bursche, in einem teuren Seidensakko, ehrgeizig. Zur gleichen Zeit wie Milosevic nach Chicago gekommen, war er sauer darüber, dass es nicht New York war. Er war ständig in Wartestellung auf die Beförderung, von der er überzeugt war, dass er sie verdiente. Es gab eine Theorie, dass Hollys Eintritt in seine Abteilung seine Chancen verbesserte.
    »Sie ist noch nicht da?«, fragte er.
    Die anderen vier zuckten die Schultern.
    »Die kann sich auf was gefasst machen«, sagte Brogan.
    Holly war Aktienanalystin an der Wall Street gewesen, ehe sie sich um die Stellung beim FBI beworben hatte. Niemand konnte sich vorstellen, warum sie übergewechselt war. Sie hatte irgendwelche Verbindungen zu höchsten Kreisen und einen Vater, der irgendwie berühmt war, und deshalb lag die Vermutung nahe, dass sie vielleicht Eindruck auf ihn machen wollte. Keiner wusste genau, ob der alte Herr nun wirklich beeindruckt war oder nicht, aber man war sich allgemein darüber im Klaren, dass er eigentlich allen Anlass dazu hatte. Holly war eine der zehntausend Bewerber und Bewerberinnen ihres Jahrgangs gewesen und hatte die Aufnahmeprüfung an der Spitze der vierhundert bestanden, die es geschafft hatten. Ja, sie hatte die Aufnahmebedingungen sogar zu so etwas wie einer Farce gemacht. Das Büro hatte Collegeabsolventen mit Jura- oder Betriebswirtschaftdiplomen gesucht
und ersatzweise auch Absolventen etwas fadenscheinigerer Disziplinen, die anschließend wenigstens drei Jahre Berufserfahrung aufzuweisen hatten. Holly hatte sich in jeder Hinsicht qualifiziert. Sie

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