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Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen
Autoren: P. C. Cast
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östlich des Springbrunnens. Wir eröffnen den heutigen Nachmittag mit Schlaf- und Wohnzimmermöbeln …“
    Ich konnte die Stimme des Auktionators im Hintergrund dröhnen hören, als die ersten Gebote für Los Nummer eins gemacht wurden – Reproduktion eines sechsteiligen viktorianischen Schlafzimmers aus Eiche –, aber meine Aufmerksamkeit wurde weiterhin von der Urne gefesselt. Gemeinsam mit anderen Nachzüglern war ich bei dem Objekt meiner Wahl geblieben und wartete darauf, dass der Auktionator zu meinem Los kam. Mit zitternden Händen wühlte ich in den Tiefen meiner Handtasche und holte ein zerknülltes, gebrauchtes Taschentuch hervor. Vorsichtig streckte ich die Hand nach der Urne aus und wischte alle Fingerspuren ab, die Mr. Geheimratsecke hinterlassen hatte. Vielleicht war alles nur eine durch Schweiß und Licht induzierte Sinnestäuschung. Ich blinzelte ein paarmal und schaute wieder auf die Hand der Priesterin. Dann auf meine eigene.
    Die vertraute Brandnarbe war tatsächlich da – und zwar schon seit meinem vierten Lebensjahr, als ich altklugerweise annahm, ich könnte meiner Großmutter helfen, das Wasser für die Makkaroni schneller zum Kochen zu bringen, indem ich am Henkel des Topfs rüttelte. Natürlich war das heiße Wasser über meine kleine Hand geflossen und hatte eine merkwürdig aussehende Narbe in Form eines Sterns hinterlassen – die einunddreißig Jahre später immer noch Kommentare von Fremden wie Freunden provozierte. Und die Frau auf der Urne hatte genau die gleiche Narbe?
    Unmöglich. Vor allem auf der Reproduktion einer alten keltischen Urne.
    Und doch war es so, in all ihrer „Ihr Haar sieht aus wie meins, die Hand hat die gleiche Narbe, und ich habe das Gefühl, einen Nervenzusammenbruch zu kriegen“-Pracht.
    „Ich brauche einen Drink.“ Die Untertreibung des Jahres. Ein Blick auf den Auktionator verriet mir, dass er erst bei Los Nummer sieben war (Reproduktion eines Louis-XIV.-Kleiderschranks; die Gebote stiegen schnell und schneller). Ich hatte also ausreichend Zeit, den Getränkestand aufzusuchen und mich zusammenzureißen, bevor er auch nur in die Nähe des künstlerischen Zeugs kam. Unnötig zu erwähnen, dass ich nun nicht mehr auf Objekt Nummer zwölf, den coolen Drachendruck, bieten würde. Er würde mit jemand anderem nach Hause gehen müssen. All mein Geld und meine Energie würden in die Urne fließen.
    Sobald ich mich von dem Tisch mit den Tongefäßen entfernte, ging es mir seltsamerweise wieder gut. Keine Hitzewallungen, keine Atembeschwerden, definitiv keine „Die Zeit scheint plötzlich stillzustehen“-Momente mehr. Der Notbehelfsgetränkestand befand sich in der Nähe der Landmaschinen. Es gab kalte Getränke, Kaffee und unappetitlich aussehende Hotdogs. Ich bestellte eine „Irgendwas light“ und trank in kleinen Schlucken, während ich zurück zu meinem Tisch schlenderte.
    Ich hatte schon immer eine lebhafte Fantasie. Ich liebe es, mir Geschichten auszudenken. Meine Güte, ich bin eine verdammte Englischlehrerin – ich lese sogar! Und das auch noch mit Vergnügen, wie schockierend das für einige Leute auch sein mag. Allerdings war mir nicht nur immer der Unterschied zwischen Realität und Fiktion bekannt – ich habe ihn auch genossen.
    Also, was zum Teufel war heute mit mir los? Was hatte es mit diesen merkwürdigen Gefühlen auf sich? Und warum sah die Frau auf der Urne aus wie ich? Ich zwickte mich in den Oberarm, und es tat weh. Also hatte ich keinen meiner ultralebendigen, irren Träume, die mir immer so real vorkamen.
    Kaum kam ich in die Nähe der Töpferwaren, zog sich mein Magen zusammen. Es war total bizarr. Ich sollte den verdammten Druck kaufen, mich zu meinem Wagen begeben, nach Hause fahren und mir eine große Flasche Merlot gönnen. Das alles ging mir durch den Kopf, während meine Beine mich auf direktem Weg zurück zur Urne brachten.
    „Verfluchtes Ding, sie sieht immer noch aus wie ich.“
    „Es ist seltsam, nicht wahr, Miss?“
    Der Mann vom Eingang, dessen Statur an ein Skelett erinnerte, stand hinter dem Tisch mit den Keramikgefäßen. Er streckte einen Arm aus und ließ seine Hand über die Urne gleiten, hielt kurz am Kopf der Priesterin inne und fuhr dann die Linie ihres Arms mit einem Finger nach.
    „Also ist es Ihnen auch aufgefallen.“ Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, und sofort zog er seine Hand zurück.
    „Ja, Miss. Mir ist Ihr Haar gleich aufgefallen, als Sie auf das Grundstück gefahren sind. Eine hübsche
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