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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon
Autoren: Ruth Thomas
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einer
weiteren kostbaren Minute Vorsprung.
    Nathan zog die Kapuze wieder über den
Kopf. Die Gasse zog sich zwischen hohen Mauern hin, und am Ende hatte Nathan
eine reiche Auswahl an Straßen. Nach rechts, nach links, geradeaus und parallel
zu der Gasse, aber auf einer anderen, höheren Ebene. Der rothaarige junge Mann
würde nie wissen, welchen Weg er eingeschlagen hatte. Ein paar Leute mit
Schirmen waren zu sehen, doch bis der Rothaarige die Kreuzung erreichte, würden
sie ihres Wegs gegangen sein und nichts mehr über Nathan aussagen können.
    Er wählte den Weg, der wieder zurück
führte. Es war keine richtige Straße, nur eine Art Feldweg. Bald kam wieder ein
Abzweig nach rechts, und Nathan bog ab. Der Weg führte an Hinterhöfen vorbei zu
einem Fußballfeld. Nathan überquerte das Feld, immer noch in vollem Lauf. Den
Schmerz in seiner Brust versuchte er, nicht zu beachten. Aber er war ausgebrannt.
Er konnte nicht mehr laufen. Zum Glück hatte er das Feld hinter sich und war
wieder im Schutz einer Gasse. Links sah er die grasbewachsenen Klippen. Er war
im Halbkreis zurückgelaufen.
    Julia und der Ausguck mußten also
wieder links von ihm sein. Oben auf den Klippen war niemand zu sehen, was bei
diesem Wetter auch nicht anders zu erwarten war. Nathan blieb ein paar
Augenblicke stehen, um Atem zu schöpfen, dann rannte er mit gesenktem Kopf
weiter, das Meer zur Rechten und die Bahngeleise zur Linken.
    Der junge Mann aus dem
Lebensmittelgeschäft hatte ihn längst aus den Augen verloren. Nathan war
sicher, daß er ihn nie finden würde.
    Julia war schrecklich nervös. „Warum
hat es so lang gedauert?“ fragte sie.
    „Es war eine lange Schlange in der
Frittenbude“, sagte Nathan.
    „Die Fritten sind fast kalt“, beklagte
sie sich, aß aber trotzdem alle auf.
    Nathan hatte einen Bärenhunger. Er aß,
als hätte er seit Tagen keine anständige Mahlzeit mehr gehabt, was ja auch
stimmte. Zumindest seit eineinhalb Tagen. Er fand es gemütlich in dem Ausguck.
Draußen prasselte der Regen, und sie waren in Sicherheit, trocken und satt.
Erst als er fast alles aufgegessen hatte, wurde ihm klar, in welcher Lage sie
sich tatsächlich befanden.
    „Er wird zur Polizei gehen!“ sagte er
laut. Die Verzweiflung klang nicht nur aus seiner Stimme, sie stand ihm auch
ins Gesicht geschrieben.
    „Wer?“ fragte Julia. „Wer geht zur
Polizei?“
    „Der Mann aus dem Lebensmittelgeschäft.
Er hat mich gesehen. Ich wollte es dir nicht sagen.“
    „Woher weißt du, daß er zur Polizei
geht? Vielleicht geht er doch nicht.“
    „Er ist mir nachgerannt. Er hat mich
Ausreißer genannt. Er weiß Bescheid. Die Polizei wird bald da sein.
Wahrscheinlich jeden Augenblick.
    „Oh.“
    „Dir macht das nichts aus, was?“
    „Doch. Doch, es macht mir was aus“,
sagte Julia, und um ihre Loyalität zu beweisen und Nathan ein bißchen
aufzumuntern, fügte sie hinzu: „Wie wollen sie uns denn hier finden? Das
Versteck ist gut.“
    „Eben weil es so gut ist! Da schauen
sie wahrscheinlich zuerst nach. Den Ausguck kennt wahrscheinlich die ganze
Stadt. Wir müssen weg.“
    „Jetzt? Es regnet.“
    „Vielleicht ist es sowieso schon zu
spät. Vielleicht ist die Polizei schon da.“
    Er kroch hinaus, um nachzuschauen. Der
Regen hatte fast aufgehört, aber auf den Klippen war immer noch niemand zu
sehen. Wo auch immer die Polizei war, bis hierher war sie noch nicht gekommen.
Nathan richtete sich vorsichtig auf und schaute über die Werft zur
Strandpromenade. Er suchte nach Polizeiautos und Männern in Uniform. Doch in
der Ferne war alles verschwommen. Wenn Polizisten dagewesen wären, hätte er sie
nicht erkannt. Sein Blick wanderte über den Hafen zur Hafeneinfahrt. Und da war
etwas, das selbst seine kurzsichtigen Augen erkennen konnten. Mit der
Nachmittagsflut kam ein wundervolles, großes Schiff in den Hafen!
    „Jule — komm und schau dir das an!“
    Sie kam aus ihrem Versteck und stellte
sich neben ihn. „Ich nehm an, jetzt willst du, daß wir uns auf dem Schiff
verstecken.“
    „Es ist ein Wunder“, sagte Nathan
staunend. „Ein Wunder. Es kommt gerade rechtzeitig. Es muß eine Möglichkeit
geben, an Bord zu kommen. Es muß.“
    Ganz zittrig vor Aufregung versuchte
er, die Möglichkeiten in Gedanken durchzugehen. Da war das Schiff, es fuhr auf
die Werft zu, nur ein paar Meter von ihnen entfernt. Und doch konnten sie nicht
einfach an Bord gehen. Zum einen war es hellichter Tag und man hätte sie
gesehen. Zum anderen gab es für sie keinen
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