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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition)
Autoren: Christian Waluszek
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einfiel ...
    Mirja war inzwischen nach unten geklettert und ging dann die Schienen entlang zum Ausgang. Als sie die Geisterbahn durch das Tor mit dem bluttriefenden Zähnen verließ, sah sie ihn an der Kasse stehen. Den komischen Riesen von gestern Abend, der kaum in die Wagen passte und der, wenn er nicht durch die Geisterbahn fuhr, stundenlang den Monster-Affen anstarrte.
    »Einen Chip bitte«, sagte der Riese, als Mirja an der Kasse angekommen war. Er lächelte über das ganze Gesicht und seine blauen Augen strahlten vor Freude.
    »Die Kasse ist noch zu«, sagte Mirja. »Wir machen erst in einer Stunde auf.«
    »In einer Stunde?« Die Stirn des Riesen bekam nachdenkliche Falten.
    »Ja, um ein Uhr.«
    Der Riese schaute auf seine Armbanduhr. »Dann kann Wilfried noch ein bisschen schlafen«, stellte er fest und gähnte.
    »Ja, dann gute Nacht«, sagte Mirja schlagfertig und ging.
    Als sie eine halbe Stunde später den Tisch im Wohnwagen deckte, kam Edek hereingeplatzt.
    »Äh, an Kasse steht Riesenmensch von gestern Abend«, meinte er verwundert.
    »Ja, weiß ich. Er wollte jetzt schon fahren.«
    »Er steht da und schläft!«
    »Wie – er schläft?«,
    »Einfach so –« Edek stellte sich kerzengerade, schloss die Augen und schnarchte leise.
    Und wirklich! Wilfried stand vor der Kasse, die Plastiktüte zwischen den Beinen, und schlief. Die Nacht auf der Kirmes war nämlich entschieden zu lang und die Bank am Ufer der Isar entschieden zu kurz gewesen. Wenn Wilfried so richtig müde war, dann konnte er fast augenblicklich im Stehen einschlafen. Schon von klein auf. »Wie ein Pferd!«, hatte Onkel Ludwig einmal gesagt. »Besser als ein Pferd!«, hatte Wilfried darauf erwidert. »Ein Pferd braucht dazu vier Beine, Wilfried nur zwei!«
     

· 5 ·
     
    J eschke kam am Sonntagabend, als das Geschäft auf Hochtouren lief. Edek hatte Mirja gar nicht warnen müssen, denn Jeschke tauchte plötzlich im Kassenhäuschen auf. Er blies den Rauch der Zigarre aus der Nase, lächelte und fragte Mirja, wie die Geschäfte so liefen.
    »Gut«, antwortete Mirja, so ruhig sie nur konnte. Sie hatte den ganzen Tag auf diese Begegnung gewartet und merkte jetzt, wie ihr das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug.
    Jeschke nickte, zog an der Zigarre, betrachtete das Geld in der Kasse, schließlich gingen seine Blicke zu Mirjas Beinen. In einer ersten Bewegung wollte Mirja den Rock länger zupfen, dann aber schlug sie demonstrativ ein Bein über das andere. Jeschke sollte nicht glauben, dass sie sich etwas aus ihm machte.
    Nach einer Weile, die Mirja endlos vorkam, streifte Jeschke die Zigarrenasche am Türrahmen ab, sagte: »Dann wünsche ich noch einen schönen Abend«, und ging.
    Mirja sprang auf und schaute, ob Edek irgendwo zu sehen war. Keine Spur von ihm. Sie überlegte kurz. Das Geschäft war jetzt egal, sie musste Schlimmeres verhindern. Sie warf den Deckel der Kasse zu, erklärte dem Fahrgast, der gerade bezahlen wollte, sie sei sofort wieder zurück, und rannte nach draußen. Als sie um die Ecke bog, stieß sie beinahe mit Edek zusammen.
    »Jeschke ist da!«, rief er.
    »Weiß ich«, sagte Mirja, »mach du jetzt die Kasse!«
    Sie lief los und erreichte Jeschke kurz vor dem Wohnwagen.
    »Mein Vater ist nicht da!« Mirja schob sich vor Jeschke und versperrte ihm den Weg.
    »Was?« Jeschke hatte wegen des Lärms nichts verstanden.
    »Mein Vater ist nicht da!«, wiederholte Mirja lauter.
    »So?«, sagte Jeschke. »Dann muss ich wohl auf ihn warten.«
    »Das geht nicht! Er will Sie nicht sehen!«
    »Wer sagt das?«
    »Ich.«
    »Ach, wirklich?«, versuchte es Jeschke mit Ironie.
    »Wir verkaufen nicht!«
    Jeschke ließ die Zigarre fallen und trat sie mit der Spitze des Schuhs aus. »Gut, und jetzt lass mich vorbei. Ich glaube, du wirst an der Kasse verlangt.«
    »Nein. Wir zahlen die Schulden zurück. Die Geisterbahn kriegen Sie nicht!«
    Jeschke zog ein Gesicht, als würde ihm das Ganze zu lästig. »Mit dir hab ich nichts zu besprechen. Das ist was für Erwachsene«, sagte er.
    »Nein. Mein Vater hat mir gestern alles erzählt, ich weiß Bescheid! Er will Sie nicht sehen und wir verkaufen nicht! An niemanden!«
    Jeschke machte einen Schritt vorwärts, aber Mirja wich nicht zurück.
    »Soll ich um Hilfe schreien?«, fragte sie wütend.
    Jeschke zögerte einen Augenblick. Dann breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht aus. Er trat wieder zurück, holte aus dem silbernen Etui eine neue Zigarre, biss das Endstück ab und zündete
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