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Auf der Suche nach Tony McKay

Auf der Suche nach Tony McKay

Titel: Auf der Suche nach Tony McKay
Autoren: Yt Genthe
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Steuergesetzgebung im Spätkapitalismus zu ersparen, ‘zwei Gläser Rotwein, bitte.’  
    ‘Kommt sofort,’ erwidert Rosa sarkastisch und entfernt sich Richtung Tresen.
    ‘Gott, was ist mit der schon wieder los,’ sagt Britta, ‘echt du, nicht jeder Mensch taugt zur Kellnerin. Solltest denken, dass das nicht so schwer ist, ‘Ja bitte?’ ‘Kommt sofort’, mehr an Vokabular brauchst du doch nicht dafür, aber die schafft es, aus allem einen Klassenkampf zu machen.’
    ‘Sie hat sich ihr Leben wahrscheinlich auch anders vorgestellt.’
    ‘Wer hat das nicht?’ gibt Britta düster zurück, und wir schweigen für eine Weile.
     
    ‘Alles klar?’ Heiko zieht einen dritten Stuhl an den Tisch. Wie auch Rosa/Sabine ist er vor einer halben Ewigkeit mit uns zur Schule gegangen. Im Gegensatz zu uns, ist er allerdings nie aus H. weggezogen, sondern arbeitet seit dem Abitur auf der Volksbank.   Manchmal denke ich, er bereut diese Entscheidung insgeheim, auch wenn er das so nicht sagt. Zumindest kleidet er sich immer betont intellektuell, wahrscheinlich ist das seine Form des zivilen Ungehorsams in der Volksbank.
    Britta, Rosa und ich sind also im Gegensatz zu Heiko direkt nach dem Abi geflohen – dies scheint das einzig passende Wort, geflohen in unterschiedliche Richtungen, gleichsam als ob eine plötzlich aufgetretene magnetische Kraft uns aus H. fort gestoßen hätte. Und irgendwann, Jahre später, sind wir wieder zurückgedriftet, nicht gemeinsam, nicht gleichzeitig, sondern unseren jeweiligen Umständen entsprechend, einzeln, leise, nicht geradeaus nach vorne blickend, sondern eher zur Seite und oft nach hinten, peinlich berührt, aber auch erleichtert in gewissem Sinne. Wer von uns vieren der größte Loser ist, darüber sind sich die Richter noch nicht einig.
    ‘Na, hat deine Freundin dich heute Abend sitzen lassen?’ Britta wirft Heiko einen fragend-herausfordernden Blick zu. Heiko guckt seitlich an Britta vorbei.
    ‘Sie musste heute Abend länger im Büro bleiben, die hatten da ein Problem mit der Filiale in Hong-Kong und Penny musste die Telefonkonferenz leiten.’
    Der Moment Stille nach dieser Erläuterung spricht Bände, und Heiko sieht irgendwie unglücklich aus.
    ‘Sowieso.’
    Britta glaubt nicht, dass Heiko wirklich eine Freundin hat. Niemand hat sie je gesehen, und auch in der Schule hatte er nie eine. Soweit wir wissen, hat er H. in den letzten zwei Jahren nicht verlassen. Heiko besteht allerdings darauf, dass Penny existiert, in Hamburg in einem Penthouse in der Speicherstadt wohnt und als Betriebswirtin für eine internationale Speditionsfirma arbeitet. Wo genau er sie kennen gelernt haben soll, darüber lässt er sich nicht aus. Das Internet, kommt vage als Antwort. Sehr bequem – gibt es eigentlich heute noch Beziehungen von Leuten in der Altersklammer von sagen wir mal 40 und jünger, die nicht durchs Internet entstanden sind?
    ‘Ist ja auch egal, wahrscheinlich besser, wenn deine Freundin nur in deiner Phantasie existiert, denn früher oder später enden alle Beziehungen in Trennhausen. Spar’ dir den ganzen Mist von vornherein!’
    Die letzten Worte kommen gepresst hervor, und Britta wühlt in ihrer Tasche nach einem Tempo. Heiko zieht eine Packung aus seiner Jackentasche und reicht sie Britta.
    Der Wein kommt. Rosa muss vom Tresen aus gesehen haben, dass Heiko sich zu uns gesetzt hat und balanciert auf ihrem Tablett eine ganze Flasche mit zwei extra Gläsern.
    ‘Danke, Rosa, das ist echt nett, dass du gleich eine Flasche gebracht hast.’
    Rosa hat, auch wenn sie eher das Gegenteil nach außen trägt, irgendein Ding für Heiko, dem das aber alles andere als bewusst ist. Er ist augenscheinlich eingeschüchtert in Rosas Gegenwart und bringt außer einem nervösen Laut, auf dem Spektrum zwischen Kichern und Stöhnen irgendwo in der Mitte, nichts hervor.
    ‘Wo ist deine Freundin, Heiko?’
    ‘Muss heute länger arbeiten,’ stöhnt-kichert Heiko in Richtung Weinflasche.
    Rosa setzt das Tablett ab, stellt je ein neues Glas vor mich und Heiko hin und beginnt uns einzuschenken. Harry’s Bar ist heute Abend besonders leer. Obwohl es ja zu ‘leer’ eigentlich keinen Komparativ oder Elativ geben dürfte - denn wie kann etwas, das ‘leer’ ist, also nichts in sich hat, noch weniger haben? Wenn in einem Raum niemand ist, und man nimmt noch jemanden aus dem Raum fort, sitzen dann da -1 Leute? Wie soll das gehen? Vor meinem geistigen Auge tauchen Negative an den Tischen auf, aber das
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