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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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bin ich wieder da, ja? Oder in drei, wenn ich mich nicht wieder anziehe. In zwei, wenn ich das Abtrocknen auslasse.«
    »Ich rühre mich nicht von der Stelle«, versicherte Felix.
    Das tat er auch nicht. Aber als ich zurückkam – gut, ich hatte vielleicht doch ein bisschen länger gebraucht als drei Minuten –, war er bereits wieder tief und fest eingeschlafen.

Versuchungen sollte man nachgeben, wer weiß, ob sie wiederkommen.
    Oscar Wilde
    Wenn unsere Chefin Gabriele Gerber schlecht drauf war, pflegte sie nicht nur einen furchterregenden braunroten Lippenstift zu tragen, sondern schon frühmorgens alles daranzusetzen, uns ebenfalls die Laune zu verderben. Was sie nicht wissen konnte – heute war es gar nicht mehr möglich, meine Laune noch zu verschlechtern.
    »Kati, wo bleibt die Auswertung der Teilnehmerbefragung?« Ich war noch nicht ganz zur Tür herein, als sie mich bereits anraunzte und dabei in eine Wolke von Jil Sander hüllte. Einen Duft, den ich vor unserer Bekanntschaft durchaus gemocht hatte.
    Ich bin gestern erst um kurz vor Mitternacht zu Hause gewesen, das weißt du ganz genau, du grausame Leuteschinderin! , schnauzte ich zurück, allerdings ganz ohne die Stimmbänder zu benutzen oder die Lippen zu bewegen. Für meine Chefin musste es so aussehen, als ob ich sie einfach nur finster anstarrte. Und dann, stell dir vor, hatte ich keine Lust, mir die Nacht mit den Teilnehmerfragebögen für deine überflüssigen Statistiken um die Ohren zu schlagen! Ich habe nämlich auch ein Privatleben, weißt du, wenn auch ein ziemlich ödes …
    »Sag bloß, du hast die noch nicht fertig?« Gabriele Gerber schnalzte mit der Zunge, wie nur Gabriele Gerber mit der Zunge schnalzen konnte. Es ist schwer zu beschreiben, aber wenn sie so schnalzte, bekam man sofort das dringende Bedürfnis, nach dem nächstbesten harten Gegenstand zu greifen und ihn mit Schwung über ihren perfekt frisierten Kopf zu ziehen. »Heute ist der erste Februar, und ich hätte die Monatsstatistik gern pünktlich online gestellt. Wenn ich nachher von meinem Women’s Club Business Lunch komme, muss ich das auf meinem Schreibtisch haben.«
    Schnalz.
    Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, was ich den Teilnehmern in meinen Seminaren zum Thema gewaltfreie Kommunikation am Arbeitsplatz riet. Behalten Sie in jedem Fall die Ruhe. Versuchen Sie gar nicht erst, sich zu verteidigen. Seien Sie freundlich, konstruktiv und denken Sie allein an ihre Ziele. Machen Sie keine Vorwürfe, werden Sie nicht beleidigend. Und vor allem: Atmen Sie tief und lächeln Sie!
    Ich lächelte. »Dir auch einen guten Morgen, liebe Gabi.« Freundlich . »Die Auswertung mache ich gleich nach meinem Work-Life-Balance-Seminar bei den Jungen Unternehmerinnen heute Nachmittag.« Konstruktiv . Ich war gut.
    Da begann Gabi mit den Augen zu rollen, so wie nur sie mit den Augen rollen konnte. Und dazu schnalzte sie wieder.
    Meine Augen wanderten sehnsüchtig zum Schirmständer hinüber … stopp! Behalten Sie auf jeden Fall die Ruhe. Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Das Seminar heißt übrigens Gelassenheit und Achtsamkeit im Arbeitsalltag .«
    Schnalz. Roll. Gott, sie machte mich wahnsinnig!
    »Nächste Woche geht es dann um Mitarbeitermotivation durch positive Verstärkung. Wenn du Zeit hättest, würde ich dir vorschlagen, einfach mitzukommen und zuzuhören«, sagte ich. »Ganz sicher könntest du da noch etwas lernen.« Na schön, das war jetzt gegen Ende vielleicht doch etwas beleidigend geraten. Aber immer noch besser, als nach dem Schirmständer zu greifen und ihn über ihren Kopf zu braten. Jetzt schaffte ich es sogar, wieder zu lächeln.
    »Wenn du mich fragst, ist bei deiner Arbeitsmoral ein bisschen zu viel Gelassenheit im Spiel!« Gabi schnalzte noch zweimal vernichtend mit der Zunge, dann wandte sie sich Linda zu, die hinter der Empfangstheke stand und sich bereits ängstlich auf die Lippen biss. Bestimmt hatten sich all ihre sogenannten Krafttiere längst zitternd hinter ihrem Rücken versteckt. Unser Kollege Bengt Schneider versuchte, sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand aus der Küche an seinen Schreibtisch zu schleichen, ohne ins Blickfeld unserer Chefin zu geraten. Von Marlene war noch nichts zu sehen.
    G&G Impulse Consulting war mit vier Festangestellten eine viel kleinere Firma, als unser Kundenportfolio und das Beratungs- und Trainingsangebot vermuten ließen. Wir hätten mehr als genug Arbeit für zwei weitere Mitarbeiter gehabt, aber Gabi war der
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