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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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erzählen uns von denen, die gekämpft haben.
    Nach einem Abend mit Lance Halleton, an dem er mir auf Französisch Victor Hugos
Rückzug aus Moskau
vorgelesen hatte, beschlossen wir zu heiraten. Es hätte mir zu denken gebensollen, dass Lance in unserer Hochzeitsnacht mit zwei Taschenrechnern unter dem Kopfkissen schlief!
    Drei Wochen nach unserer Hochzeit gab er das Unterrichten auf, um Schuldeneintreiber zu werden.
    Wir hatten beschlossen, in meinem alten Haus in der Bannockburn Road zu wohnen. Er maß die Räume aus, errechnete genauestens, in englischem wie metrischem Maßstab, das Raumvolumen eines jeden Zimmers, den Platz, den jeder von uns benötigen würde, und die Anzahl der Kilowattstunden, die erforderlich war, um uns zu wärmen – ein löbliches Unterfangen für einen frisch verheirateten Ehemann, der bestrebt ist, die normalen menschlichen Bedürfnisse seiner Frau wie auch seine eigenen zu erfüllen, und eine gesunde Neugier für alle Arten von Raum zeigt – für äußeren, inneren, intimen –, das, was auf der Haut und vor den Augen liegt und mit geringem oder gar keinem Kostenaufwand zu erlangen ist.
    Es waren die
Kosten
von allem, einschließlich der Lebenshaltungskosten, die Lance jetzt beunruhigten: die Lebenshaltungskosten, die Staatsschuld; wer würde zahlen, was würde bezahlt werden, und wie konnte man wissen, wann es schließlich bezahlt war? Man kann sagen, dass es für einen Mann wie Lance, dessen Leben auf französischen Verben, ihren Zeiten und Aspekten ruhte und der nie aus Neuseeland hinaus- und so gefahrlos zu einem Wohlstandsbauch gekommen war, ein grausamer Akt des Schicksals war, nun mit der Staatsschuld konfrontiert zu sein. Manche hätten vielleicht gesagt, dass er verrückt sei, dass es seinem Alter und der Zeit, in der er lebte, zuzuschreiben sei, wenn ein Mensch mittleren Alters, gleich ob verheiratet oder alleinstehend, plötzlich auf einer kahlen Ebene steht, ein Spielball jedes vorbeiziehendenWindes; auch dass Gletscherzeit herrscht, die Zeit für den Eissplitter im Auge, die Verzerrung des Sehvermögens, für unbesonnene Paarungen, für Reisen auf etwas zu, im Glauben, dass sie von etwas wegführen, und Reisen, die wegführen, doch in Wirklichkeit Reisen nach innen sind. Selbst ein Leben aus französischen Verben bietet keinen Schutz gegen Landschaft und Witterung der mittleren Jahre, ebenso wenig wie eine erste Ehe oder ein plötzlicher Berufswechsel.
    Ich erfuhr, dass Lance bereits eine Anstellung in einem Inkassobüro gefunden hatte.
    «Diese Stadt hier», sagte er, «ist voll von Leuten, die nicht bezahlen, nicht bezahlen wollen oder nicht bezahlen können. Blenheim ist für mich ein idealer Arbeitsort. Auch mein Chef ist dieser Meinung.»
    Da ich annahm, einiges über Lances Charakter zu wissen, war ich verblüfft über die Dringlichkeit und die Rachsucht, die aus seinen Worten sprachen. Das war doch sicher «uncharakteristisch» für Lance, den Französischlehrer, den Mann, den ich gerade geheiratet hatte – obwohl man erst etwas «Charakteristisches» haben muss, um dann «uncharakteristisch» zu sein; und als ich darüber nachdachte, begriff ich, dass Lance das vielleicht nie an sich gehabt hatte. Als Französischlehrer war er eigentlich eine getüpfelte Sorte Mensch gewesen, ein freundliches Huhn unbestimmten Geschlechts, feinfühlig, mit einer gut geölten Stimme, deren Resonanz ihn zu einem ausgezeichneten Redner und Vortragenden von Gedichten machte. Er errötete leicht und hatte rasch Sympathie bei seinen Schülern geweckt – und bei mir. Ich gestehe, früher hätte ich von einem solchen Mann gesagt, dass ich ihn verachte (dieses Gefühl war ein Vermächtnis aus der Zeit der genau definierten, stets modischen Vorlieben der Spätpubertät),doch als ich Lance gegenüberstand, liebte ich ihn, weil er eine beständige Leidenschaft für die französische Sprache hegte. Die offenkundige Reinheit und Unermesslichkeit seines Gefühls verlieh ihm in meinen Augen eine Art von Größe, denn meinem Empfinden nach ist Sprache im weitesten Sinn der Falke, der über der Ewigkeit schwebt, der sich von ihr nährt, jedoch nicht von ihrem innersten Wesen und nicht unbedingt, um zu überleben, und sich so niemals in sie verwandeln, nur gleichsam mit einem Flügelschlag, einem Schrei, einem Schatten auf das hinweisen kann, was unter ihm liegt, auf der unberührten, unbeschriebenen, fast unbekannten Ebene.
    Es war etwas Unschuldiges an Lance. Ich staunte über seine Kenntnis von
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