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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg
Autoren: Paolo Coelho
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zu einem mächtigen spirituellen Bollwerk im Kampf gegen die Muselmanen, die ihrerseits behaupteten, der Arm Mohammeds sei mit ihnen. Doch nach dem Ende der Reconquista, der Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel, waren die Militärorden so mächtig geworden, daß der Staat sie als Bedrohung empfand und die Reyes Catolicos, die Katholischen Könige, sich zum Eingreifen gezwungen sahen, um zu verhindern, daß diese Orden sich gegen den Adel erhoben. In der Folge fiel der Jakobsweg allmählich weitgehend der Vergessenheit anheim, und würde er nicht hin und wieder einmal in der Kunst - wie im Film Die Milchstraße von Bunuel oder in Caminante von Joan Manuel Serrat - thematisiert, würde sich heutzutage kaum jemand mehr daran erinnern, daß einstmals Tausende von Menschen diesen Weg gegangen sind, von denen einige später die Neue Welt bevölkert haben.
Die kleine Stadt, in die ich gelangte, lag vollkommen verlassen da. Nach langem Suchen fand ich eine kleine Kneipe in einem mittelalterlich wirkenden Gebäude. Der Wirt, der den Blick nicht von der Nachrichtensendung im Fernsehen wandte, bedeutete mir, daß jetzt Siestazeit und ich verrückt sei, bei dieser Hitze herumzufahren.
Ich bestellte ein kaltes Getränk, war versucht, auch ein wenig fernzusehen, doch ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich dachte nur daran, daß ich in zwei Tagen, mitten im 20. Jahrhundert, ein ähnlich großes Abenteuer der Menschheit erleben würde wie jenes, das Odysseus nach Troja, Don Quichotte auf die kastilische Hochebene La Mancha, Dante und Orpheus in die Unterwelt und Christoph Columbus nach Amerika führte: das Abenteuer einer Reise ms Unbekannte. Als ich wieder ins Auto stieg, hatte sich meine Unruhe etwas gelegt. Selbst wenn ich mein Schwert nicht fand, die Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg wurde mir erlauben, mich selbst zu entdecken.

Saint-Jean-Pied-de-Port
    Maskierte Menschen und ihnen voran eine Blaskapelle, alle in Rot, Grün und Weiß gekleidet, den Farben des französischen Baskenlandes, zogen durch die Hauptstraße von Saint-JeanPied-de-Port. Es war Sonntag, ich hatte zwei Tage am Lenkrad meines Wagens verbracht und hatte keine Minute zu verlieren, und schon gar nicht die Zeit, um an diesem Fest teilzunehmen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und erreichte schließlich die Befestigungen, die den ältesten Teil der Stadt bilden, in dem ich Madame Savin treffen sollte. Sogar in diesem Winkel der Pyrenäen war es tagsüber heiß, und ich stieg schweiß gebadet aus dem Wagen.
Ich klopfte an die Tür. Klopfte abermals, vergebens. Km drittes Mal. Mir antwortete nur die Stille. Unruhig setzte ich mich auf einen Mauervorsprung. Meine Frau hatte mir gesagt, daß ich mich genau an diesem Tag dort einfinden sollte, doch niemand Öffnete. Vielleicht war Madame Savin ausgegangen, um sich den Umzug anzusehen, dachte ich; doch es war ebensogut möglich, daß ich zu spät gekommen war und sie beschlossen hatte, mich nicht mehr zu empfangen. Die Wanderung über den Jakobsweg war zu Ende, noch bevor sie begonnen hatte. Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein Kind stürmte auf die Straße. Ich sprang auf und fragte in meinem schlechten Französisch nach Madame Savin. Das kleine Mädchen lachte und wies ins Innere des Hauses. Da erst bemerkte ich meinen Irrtum: Die Tür führte in einen riesigen Innenhof, der von mittelalterlichen, mit Balkons versehenen Häusern umstanden war. Man hatte die Tür für mich offengelassen, und ich hatte nicht einmal gewagt, die Klinke zu ergreifen. Ich ging schnell hinein und lief zu dem Haus, das mir das Mädchen gezeigt hatte. Im Inneren fuhr eine dicke, nicht mehr ganz junge Frau einen schmächtigen jungen Mann mit traurigen braunen Augen auf baskisch an. Ich wartete, bis die Alte den Jungen unter einem Schwall von Beschimpfungen in die Küche schickte. Dann erst wandte sie sich an mich, und ohne zu fragen, was ich denn wollte, führte sie mich resolut in den zweiten Stock des kleinen Hauses. Die Tür zu einem der Zimmer stand offen. Darin stand ein mit Büchern, Gegenständen, Statuetten des heiligen Jacobus und Souvenirs des Wallfahrtsweges vollgestellter Schreibtisch. Sie nahm ein Buch aus dem Regal, setzte sich an den einzigen Tisch im Zimmer.
»Ich nehme an, Sie sind auch ein Wallfahrer nach Santiago de Compostela«, sagte sie ohne Umschweife. »Ich muß Ihren Namen in das Register für den Jakobsweg eintragen.« Ich sagte ihr meinen Namen, und sie wollte wissen, ob ich die
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