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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour
Autoren: Ramona Wickmann
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und mit wem er es treibt. Noch interessiert es mich. Ich hoffe im Gegenzug, dass er auch von meinem neu gefundenen Glück gehört hat. Charline unterstützt mich, indem sie behauptet, Steffen bereits kennengelernt zu haben. Sie schaut dabei auf ihre Schuhe und vermeidet jeglichen Augenkontakt mit ihrem Gegenüber. Ihr ganzer Körper signalisiert: »Lüge, Lüge, es ist eine Lüge.« Schweiß perlt von ihrer Stirn. Sie fängt an, sich ekstatisch zu kratzen, und scharrt mit den Füßen. Würde dazu noch ihre Nase in die Länge wachsen, wäre sie die perfekte Pantomime für das schlechteste Gewissen der Welt. Ich rechne ihr das hoch an. Sie tut es für mich. Sie ist eben zu anständig, um eine gute Lügnerin zu sein, daher überlässt sie Ausschmückungen über Steffens Charakter und seine überaus attraktive Erscheinung mir. Ich kann lügen, dass sich die Balken biegen. Engel zu heißen, ist dabei wirklich hilfreich. Mein Name ist mein Glaubwürdigkeitsjoker. Damit assoziiert jeder Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen. Oder sind Sie schon mal von einem Engel übers Ohr gehauen worden? Sehen Sie!
    Nur Charline kennt mein wahres Ich. Sie ist der Engel, der ich sein sollte. Allein der Gedanke daran, etwas Verbotenes zu tun, lässt sie derart schuldig aussehen, dass es mich wundert, dass sie noch nie verhaftet wurde.
    Einsamkeit lässt sich besser ertragen, wenn man auch wirklich allein ist. Hier, in meiner Wohnung, vermisse ich niemanden. Hier wohne nur ich – fünfzig Quadratmeter, erstes Obergeschoss, mein Reich. Nach dem Ende meiner Beziehung mit Jürgen bin ich in dieses Appartement eingezogen, in der Hoffnung auf einen Neuanfang – ohne Fernseher, DV D-Player und Stereoanlage. Das ist jetzt zwei Monate her. Ein altes Kofferradio mit einer Gabel als Antenne steht im Wohnzimmer. Der Vormieter hat es mir geschenkt. Es empfängt nur einen Sender, das ist nervig, aber immer noch besser, als ständig nur sich selbst zuhören zu müssen. Warum behalten Männer nach einer Trennung alles Unterhaltsame und lassen Frauen mit trüben Gardinen und Gedanken zurück?
    Der Altersdurchschnitt meiner Nachbarn liegt bei 75 Jahren. Man könnte meinen, dieser Umstand sei eine Art Freifahrtschein für laute Musik, Tanzorgien, nächtliches Duschen oder Posaune blasen von 13 bis 15 Uhr. Pustekuchen. Alt bedeutet heutzutage nämlich nicht mehr gleich schwerhörig. Außer mir sind alle Bewohner dieses Mietshauses mit hochsensiblen Hörgeräten aus dem Akustikshop nebenan ausgestattet. Wenn mir morgens beim Kämmen ein Haar ins Waschbecken fällt, bollert Ernst Steiner mit dem Besenstiel an die Decke. Dieser Mann ist ein solcher Pedant; der bollert mich noch in den Wahnsinn. Irgendwann nehme ich ihm das Ding weg. Aber wie ich ihn kenne, wird er schneller Ersatz gefunden haben, als ich seinen verlängerten Arm im Garten vergraben kann. Es ist mir sowieso lieber, er bleibt in seiner Wohnung und ermahnt mich nur durch die Decke. Wenn er nämlich Langeweile hat, kehrt er persönlich bei mir ein und betet mir die Hausordnung vor. So auch neulich Nachmittag. Ich war gerade dabei, Fallübungen für meinen Karatekurs zu trainieren, da trommelten mich seine alten Gichtgriffel aus meiner Konzentration. Er klopfte unaufhörlich an meine Wohnungstür und drohte mir sogar mit der Polizei, wenn ich nicht aufmachen würde. Ich musste vorsichtig sein, als mehrfach Verwarnte, also bat ich ihn herein. »Möchten Sie einen Tee, Herr Steiner?« Ohne seine Antwort abzuwarten, flüchtete ich in die Küche. Ich brauchte noch einen Moment Ruhe, bevor das Theater losging, aber der Steiner folgte mir auf dem Fuße. Er dachte wahrscheinlich, ich würde ihm Gift untermischen, und wollte meine Hände im Auge behalten. Ich stellte eine Tasse mit Wasser in die Mikrowelle – ein uraltes Modell, das ich kürzlich auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Der Vorbesitzer meinte, ich solle es mir mit dem Kauf gut überlegen. Ich könne mir mein Essen schneller auf der Heizung garen, als es dieser Stromfresser erwärmt. Bis dato hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mein Schnäppchen auszuprobieren – da allerdings die Hausordnung mehr Punkte umfasste als Luthers Thesen, war ich mir sicher, Herr Steiner würde ein Weilchen bleiben. Also stellte ich großzügig zehn Minuten ein und drückte den Startknopf. In diesem Moment setzte sich die Mikrowelle mit einem nervenzersägenden schrillen Getöse in Gang. Herr Steiner riss sich sein Hörgerät raus und fluchte etwas auf
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