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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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Tatsache, dass sich die Muslime Gedanken darüber machen müssen, ob ihre Töchter, Schwestern, Nichten und Cousinen überhaupt einen Deutschen heiraten könnten, zeigt, dass sie sich mit einer Veränderung ihrer Traditionen auseinandersetzen müssen. Alles, was diese Traditionen aufbricht, ist aber genauso Neuland für diese Menschen, wie ihre Anwesenheit Neuland ist für uns. Man sollte in dieser Diskussion auch nicht vergessen, woher diese Leute stammen. Als diese Flüchtlinge aus dem Libanon oder auch andere ausländische Gruppen vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren hier eintrafen, kamen die teilweise wirklich aus dem Mittelalter, die kamen aus Kriegsgebieten, aus Flüchtlingslagern, aus Krisenregionen, aus Diktaturen, die jetzt erst ins Wanken geraten sind. Lange Zeit waren das autoritäre Staaten – und vielleicht bleiben sie das auch auf absehbare Zeit –, in denen die Bevölkerung unterdrückt wurde und die Menschen nur deshalb überleben konnten, weil sie sich an alten Traditionen festgeklammert haben, da sie nichts anderes hatten, was ihnen Schutz bot. Vor diesem Hintergrund läuft die Entwicklung und Öffnung dieser anscheinend so verstockten und zurückgebliebenen Gesellschaft fast schon rasend schnell ab. Vierzig Jahre sind nicht lang, wenn es darum geht, jahrhundertealte Traditionen aufzubrechen.
    Hassans Vater ist zum Beispiel noch vom ganz alten Stil. Der ist mittlerweile siebzig und hatte es wirklich schwer in seinem Leben. Der ist noch in Palästina geboren worden, wurde als Kind vertrieben, die Familie kam in ein Flüchtlingslager im Libanon. Der Vater ist noch in richtigen Slums groß geworden und irgendwann dann nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten und seine Familie nachzuholen. Als Hassans Mutter zum ersten Mal in Deutschland war, musste Hassans Vater an Silvester arbeiten. Als die Knallerei losging, hat die Mutter ihre Kinder gepackt und sich im Schrank versteckt, weil sie dachte, der Krieg sei ausgebrochen. Die kannten nichts anderes. Die kannten die Vertreibung, die kannten die Flüchtlingslager, die hatten noch die Bilder im Kopf, wie die Libanesen, ihre eigenen Leute, in die Flüchtlingslager gekommen sind und Leute umgebracht haben. Die dachten, jetzt geht es schon wieder los. Hassans Mutter hat ihren Mann angerufen und gefragt, wo er sie denn hingebracht hätte: »Von einem Krieg zum nächsten?«
    Das sollte man nicht vergessen, wenn man über solche Probleme spricht oder wenn man diesen Migranten vorwirft, dass sie nicht so westlich aufgeklärt sind wie der Rest der bundesdeutschen Gesellschaft. Das ist zwar richtig, hat aber auch seine Gründe.
    In den Regionen, aus denen diese Leute kommen, stellten sich gewisse Fragen gar nicht und die Gründe, warum diese Menschen ihre Länder verlassen haben, liegen ja auch auf der Hand. Flucht vor Krieg und Vertreibung. Flucht vor der Arbeitslosigkeit. Der Wunsch, sich in einem anderen Land ein besseres Leben zu erarbeiten, aber eben alles auf Zeit.
    Hassans Familie hat zum Beispiel nie geglaubt, dass sie überhaupt hierbleiben dürfte. Lange Jahre lebte die Familie im Glauben, dass die Deutschen sie sowieso irgendwann mal wieder rausschmeißen würden. Und bevor Rot-Grün an die Macht kam und in puncto Einbürgerungsrecht einen anderen Weg eingeschlagen hat, war das politische Klima auch genau darauf ausgerichtet. Das ist erst 15 Jahre her. Bis dahin haben sehr viele Immigranten mit der Vorstellung gelebt, irgendwann wieder in ihre Heimatländer oder in ein anderes Land zurückgehen zu müssen, und da ist es nicht ganz unverständlich, dass sie versucht haben, ihre eigenen Strukturen, so gut es geht, aufrechtzuerhalten.
    Wenn sich diese Menschen heutzutage mit der Frage beschäftigen, ob ein muslimischer Mann eine Christin oder eine Jüdin heiraten darf, dann ist das schon fast eine Revolution. Ein muslimischer Mann darf übrigens eine Christin oder eine Jüdin heiraten, denn sie alle gehören einer abrahamitischen Religion an und sie alle glauben an den einen Gott. Bei den Frauen ist es anders geregelt, und das hat damit zu tun, dass die Kinder das Erbe des Vaters weitertragen. Und weil dieser auch das religiöse Oberhaupt der Familie ist und die Kinder ebenfalls Muslime bleiben sollen, kann eine muslimische Frau nur einen Moslem heiraten.
    Machen wir uns nichts vor, es gibt natürlich religiöse und kulturelle Zwänge, die das Dasein der hier lebenden Migranten und vor allem der hier lebenden Migrantenfrauen stark beeinflussen. Wenn
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