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Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Titel: Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Autoren: Agatha Christie
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zerspringen lassen. Ein Geschoß war es!«
    Immer noch in derselben heiteren unentschlossenen Art sagte Lady Chevenix-Gore: »Das läuft doch auf dasselbe hinaus… Es war Schicksal.«
    »Aber Ihr Mann hat sich selbst erschossen.«
    Lady Chevenix-Gore lächelte nachsichtig.
    »Das hätte er natürlich nicht tun sollen. Aber Gervase war schon immer ungeduldig. Er konnte nie abwarten. Seine Stunde war gekommen – und da ging er ihr ein Stück entgegen. In Wirklichkeit ist alles ganz einfach.«
    Major Riddle, der sich vor Erbitterung räusperte, sagte in scharfem Ton: »Dann hat es Sie also überhaupt nicht überrascht, daß Ihr Mann sich das Leben nahm? Hatten Sie damit gerechnet, daß etwas Derartiges passierte?«
    »Aber nein!« Ihre Augen waren weit geöffnet. »Man kann nicht immer in die Zukunft schauen. Gervase war natürlich ein sehr seltsamer Mensch, ein sehr ungewöhnlicher Mensch. Er war so ganz anders als alle übrigen. Er war die Wiedergeburt eines großen Mannes. Das habe ich schon seit einiger Zeit gewußt. Und ich nehme an, daß er selbst es auch gewußt hat. Es fiel ihm sehr schwer, sich den lächerlichen kleinen Anforderungen der alltäglichen Welt anzupassen.« Und über Major Riddles Schulter hinwegblickend, fügte sie hinzu: »Jetzt lächelt er. Und überlegt, wie dumm wir alle doch sind. Das sind wir auch. Wie Kinder so dumm. Wir tun, als wäre das Leben Wirklichkeit und sehr wichtig… Dabei ist es nur eine der großen Illusionen.«
    In dem Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, fragte Major Riddle verzweifelt: »Sie können uns also gar keinen Hinweis geben, aus welchem Grunde Ihr Mann sich das Leben genommen haben könnte?«
    Sie zuckte ihre schmalen Schultern.
    »Mächte bewegen uns – sie bewegen uns… Man kann es nicht begreifen. Sie selbst bewegen sich immer nur auf der materiellen Ebene.«
    Poirot hüstelte.
    »Da wir gerade von der materiellen Ebene sprechen: Haben Sie, Madame, eine Ahnung, in welcher Weise Ihr Mann über sein Vermögen verfügt hat?«
    »Vermögen?« Sie starrte ihn an. »Ich kümmere mich nie um Gelddinge.«
    Ihre Stimme klang hochmütig. Poirot wechselte das Thema.
    »Um welche Zeit sind Sie heute abend zum Essen heruntergekommen?«
    »Um welche Zeit? Was ist denn schon Zeit? Unendlich – das ist die Antwort. Zeit ist unendlich.«
    »Aber Ihr Mann, Madame«, sagte Poirot leise, »nahm die Zeit sehr genau – besonders, wie man mir sagte, die Zeit des Abendessens.«
    »Lieber Gervase.« Sie lächelte nachsichtig. »In diesem Punkt war er sehr dumm. Aber es machte ihn glücklich. Deshalb haben wir uns auch nie verspätet.«
    »Waren Sie im Wohnzimmer, Madame, als zum erstenmal gegongt wurde?«
    »Nein. Ich war auf meinem Zimmer.«
    »Erinnern Sie sich vielleicht, wer sich im Wohnzimmer befand, als Sie herunter kamen?«
    »Fast alle, glaube ich«, sagte Lady Chevenix-Gore unsicher.
    »Ist denn das so wichtig?«
    »Möglicherweise nicht«, gab Poirot zu. »Aber noch etwas anderes. Hat Ihr Mann Ihnen irgendwann mitgeteilt, daß er glaubte, betrogen zu werden?«
    Diese Frage schien Lady Chevenix-Gore nicht allzu sehr zu interessieren.
    »Betrogen? Nein, das glaube ich nicht.«
    »Beraubt, betrogen – ein Opfer irgendwelcher Vorgänge…?«
    »Nein – nein – das glaube ich nicht… Gervase wäre sehr ärgerlich geworden, wenn irgend jemand versucht hätte, so etwas zu tun.«
    »Jedenfalls hat er Ihnen gegenüber nichts Derartiges erwähnt?«
    »Nein – nein.« Lady Chevenix-Gore schüttelte den Kopf, immer noch ohne wirkliches Interesse. »Ich müßte mich doch erinnern…«
    »Wann haben Sie Ihren Mann zum letztenmal lebend gesehen?«
    »Vor dem Abendessen, auf dem Weg nach unten, schaute er wie gewöhnlich bei mir herein. Meine Zofe war dabei. Er sagte nur, er ginge schon nach unten.«
    »Worüber hat er in den letzten Wochen am häufigsten gesprochen?«
    »Ach, über die Familiengeschichte. Er kam so gut damit voran. Und er hatte diese seltsame Frau, Miss Lingard, gefunden, die für ihn unbezahlbar war. Sie suchte für ihn im Britischen Museum immer die Unterlagen heraus – und derartige Dinge. Sie hatte vorher schon Lord Mulcaster bei seinem Buch geholfen. Und sie war taktvoll – ich meine: Sie suchte nicht die falschen Dinge heraus. Schließlich hat jeder Mensch Vorfahren, an die er nicht gern erinnert werden möchte. In diesem Punkt war Gervase sehr empfindlich. Mir hat sie übrigens auch geholfen. Eine Menge Informationen über Hatschepsut hat sie mir
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