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Auch Du stirbst einsamer Wolf

Titel: Auch Du stirbst einsamer Wolf
Autoren: Fritz Mertens
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und freute mich riesig. Der glaubte anscheinend, alle anderen wären dumm, außer ihm. Aber das ist nicht der Fall. Seine Spielchen kann er mit anderen spielen, aber nicht mit mir. Ich schaute nur noch, daß ich Land gewann und machte mich aus dem Staub, wieder in die vierte Etage. Als ich ins Zimmer kam, in dem ich geschlafen hatte, saß eine Type im blauen Trainingsanzug auf einem anderen Bett und stierte auf den Boden. Jetzt sind wir schon zwei, dachte ich und freute mich. Ich wollte gleich mit dem Typ ein Gespräch anfangen, aber die Sache schlug fehl, denn er war ein Pole und konnte keine andere Sprache außer Polnisch. Auf einmal ärgerte ich mich, daß ich kein einziges Wort Polnisch sprach. Egal, dachte ich mir und legte mich auf mein Bett. Die Füße ausgestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt lag ich da und träumte von Heldentum, das ich einmal erreichen würde. Ich sah mich schon, wie ich jede Schlacht gewinnen würde und als einziger Sieger vom Felde ging.
    Aus diesen heldenhaften Träumen wurde ich aber wieder gerissen, als mich ein Soldat holte, um mich zum Friseur zu bringen. Da alle Legionäre nur ganz kurze Stoppeln auf dem Kopf hatten, dachte ich mir, daß sie nun meine schöne Haarpracht vom Kopfe holen würden. Ich stellte mir schon vor, wie ich mit solchen Stoppeln aussehen würde, und mir grauste es nur schon beim Gedanken. Aber es ging kein Weg daran vorbei, die Haare mußten runter. Im ersten Stock wurde ich in einen Raum geführt, in dem ein Stuhl stand, wie ihn die Friseure haben. Darauf mußte ich mich setzen und warten. Für diese Frisur, die man mir verpassen wollte, brauchte man kein gelernter Friseur sein.
    Die Türe ging auf und ein Mann in Uniform kam herein. Aus einer Schublade vor mir holte er Kamm, Schere, Pinsel und einen Scherapparat und sagte zu mir:
    »Dann wollen wir dir mal einen verpletten.«
    Diese Worte machten mir nicht gerade Hoffnung, und ich rutschte gleich ein wenig tiefer in den Friseurstuhl. Er legte mir ein Handtuch um den Hals und fing an, mich zu verunstalten.
    Im Spiegel, der vor mir hing, konnte ich die Prozedur genau beobachten. Er schnitt mir zwar die Haare kurz, aber nicht so, wie sie die anderen alle hatten. Er ließ ein bißchen mehr als nur Stoppeln auf meinem Kopf. Das beruhigte mich ein bißchen, obwohl ich mit so kurzer Mähne doch sehr beschissen aussah.
    Als er fertig war, fragte ich ihn:
    »Warum haben Sie sie nicht so kurz geschnitten, wie sie die anderen Soldaten alle haben?«
    »Ganz einfach. Du könntest bei der ärztlichen Untersuchung für untauglich erklärt werden und müßtest wieder verschwinden. Dann ist es besser für dich, wenn du noch ein paar Haare auf dem Kopf hast. Solltest du aber tauglich sein, dann kommt der Rest auch noch runter.«
    »Wann ist die ärztliche Untersuchung?«
    »Das ist nur eine Voruntersuchung. Die wollen wissen, ob du keine ansteckenden Krankheiten mit dir herumschleifst. Die Hauptuntersuchung findet nicht hier statt, sondern unten in Aubagne, das liegt bei Marseille.«
    »Und wann ist diese Voruntersuchung?«
    »Das weiß ich selber auch nicht. Die kann noch heute sein, oder erst morgen. Das weiß der liebe Gott, aber nicht ich.«
    In dem Scheißladen erfuhr man auch gar nichts, dachte ich mir.
    »So, und jetzt gehst du wieder in die vierte Etage, damit man weiß, daß du fertig bist mit Haareschneiden.« Ich verschwand wieder nach oben, und dort mußte ich feststellen, daß wieder zwei Neue gekommen waren. Diese sprachen sogar deutsch miteinander, und ich hatte endlich jemanden, mit dem ich reden konnte. Sofort ging ich zu ihnen hin und fing ein Gespräch an. Dabei erfuhr ich, daß beide Schutz bei der Legion suchten, weil sie eine Kleinigkeit angestellt hatten. Beide waren in meinem Alter und waren froh, daß ich ihnen sagen konnte, was sie erwartete und nicht genauso in der Luft hingen, wie ich am Anfang. Ich fand es sehr traurig, daß junge Menschen ihre Heimat und ihre Verwandten verlassen mußten, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hatten und die Legion dem Gefängnis vorzogen. Alle sagten, daß der Knast eine seelische Zerstückelung wäre, der kein Mensch ausgeliefert werden sollte. Lieber wollten sie sich bis zum Umfallen schleifen lassen oder auch draufgehen.
    Zur ärztlichen Voruntersuchung kam ich erst am nächsten Tag, gleich nachdem wir gefrühstückt hatten. Wir wurden alle in einen Wagen verfrachtet und in eine Klinik gefahren. Dort mußte man sich ausziehen und auf den Arzt warten.
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