Armegeddon Rock
derselbe Set wie in Denver. Red Rocks war der Probelauf gewesen; in der West Mesa ging es ums Ganze. Er konnte die Erregung in der Menge um ihn her spüren, konnte fühlen, wie die Veränderung begann, wie all diese Tausende und Hunderttausende miteinander verschmolzen, eins wurden, eine ungeheure Bestie mit einer halben Million Augenpaaren und einer einzigen Stimme, einem einzigen Herz, das jetzt schneller schlug, schneller und heftiger und stärker. Er schaute nach oben, und die Sterne blickten mit einer Milliarde gelber Augen zu ihm zurück. Er konnte nicht sehen, daß sie funkelten. Sie schauten herab, streng und eisig und ach so stetig.
Mit jedem Schritt pulsierte der Sound lauter, flippte die Menge mehr aus. Sandy merkte, daß er gegen die Musik ankämpfte, fast als wäre sie etwas Lebendiges, ein zähes dunkles Geschöpf, das um jeden Schritt des Weges mit ihm rang. Song auf Song schob er sich weiter durch, drängte Leute beiseite, bewegte sich auf die brüllende Musik zu. Das Getöse wurde lauter, als er sich dem Turm näherte, lauter und immer lauter. Es röhrte auf ihn ein, es zischte und fauchte, es beutelte ihn wie ein übernatürlicher Wind aus uralter Zeit, der aus dem Nichts heranfegte, aus unvorstellbarer Finsternis. Es kostete ihn unendliche Anstrengung, einen Yard voranzukommen. Durch »Elf Rock« und »Cold Black Water« und »Crazy Cara« drängte er vorwärts, kämpfte gegen den füßestampfenden Beat von »Jackhammer Blues« an, gegen die Körper, die sich zu »Poison Henry« wiegten und zu »Schuylkill River« Boogie tanzten. Er hörte die Schreie, als Maggio sein Hemd auszog und es in die Menge schleuderte, sah den farbigen Rauch von der Bühne wallen, als die Nazgûl sich mit voller Kraft in »Makin’ War« stürzten. Als sie das taten, öffnete sich eine schmale Lücke in der Wand aus Körpern vor Sandy. Er sah sie und tauchte hindurch, ganz nach vorn zum Sockel des Lautsprecherturms. Eine Bewegung in der Menge drohte ihn davon wegzureißen; er bekam das gewaltige Metallbein zu fassen und hielt sich daran fest, als ginge es um sein Leben. »Makin’ war, makin’ war, makin’ war, war, WAR!« sang die Menge immer und immer wieder, als Maggio und Hobbins improvisierten.
»Mach, daß du da runterkommst, verflucht!« hörte er eine bekannte Stimme ganz in der Nähe sagen.
Ein paar Fuß weit weg war ein Mädchen auf das Gerüst geklettert. Der Ruf war von oben an sie gerichtet. »Mach, daß du vom Turm runterkommst, verdammt noch mal!«
sagte die Stimme, und ein stämmiger Mann beugte sich von dem Eisenträger aus hinüber, auf dem er balancierte und schlug dem Mädchen mit einem Nuchako fest auf die Finger. Sie kreischte, ließ los und fiel auf die anderen unter ihr herab.
Auf der Bühne blitzte rotes und gelbes und weißes Licht in blendender, explosiver Folge auf. Die silberverspiegelte Sonnenbrille des Mannes über ihm warf Reflektionen zurück. »Makin’ war, makin’ war, makin’ war, war, WAR!« Gopher John ging in ein langes Schlagzeugsolo über. Alles schrie, pfiff und krümmte sich. Schweigend starrte Sandy zu Mirrors hinauf. Es ließ sich nicht ändern.
Er wartete, bis Mirrors den Blick abgewandt hatte, dann zog er sich auf den Turm hinauf und kletterte los. Das Ding war aus bloßem, scharfkantigem Metall zusammengebaut. Es grub sich schmerzhaft in seine Handflächen, als er sich hochzog. Der Kleidersack unter seinem Arm war lästig und schwer, und er rutschte dauernd weg. Immer wieder mußte er haltmachen, ihn richtig umhängen und von neuem anfangen. Er war kaum zehn Fuß hoch, auf derselben Höhe wie der Aufpasser, als Mirrors sich umdrehte und ihn sah.
Sandy versuchte zurückzuweichen, sich im Schatten des Turmbeins zu verstecken, aber es hatte keinen Zweck; er war entdeckt worden. Mit dem sicheren Schritt einer Katze kam Mirrors über einen Eisenträger auf ihn zu, den Nuchako in der Hand. Kein Rückzug, dachte Sandy. Er klammerte sich an das Bein, darauf vorbereitet, das Gewehr als Knüppel zu benutzen.
Dann blieb Mirrors stehen. »Du«, sagte er. Er nickte. »Hab dich nicht erkannt. Steig weiter rauf.« Er lächelte und wandte ihm den Rücken.
Einen Moment lang stand Sandy mit vor Anspannung versteiftem Körper ungläubig da. Dann packte er wieder unbeholfen das Gewehr und setzte seinen Aufstieg fort.
Er war in keiner guten Verfassung. Drei- oder viermal mußte er anhalten und Atem schöpfen. Der Kleidersack mit dem Gewehr war unerträglich, und zweimal hätte er
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