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Apocalypsis 1 (DEU)

Apocalypsis 1 (DEU)

Titel: Apocalypsis 1 (DEU)
Autoren: Mario Giordano
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fast sein ganzes Leben im Vatikan verbracht, hatte viel gesehen, manchmal zu viel, und stellte daher wenig Fragen. Ob der Papst nun gestorben war oder zurücktrat, spielte für seine Aufgabe keine Rolle. Schweigend nahm er den Fischerring entgegen und schloss ihn ebenso schweigend in eine kleine Schatulle ein. Innerhalb der nächsten Stunden würde er den Ring mit einem silbernen Hammer vor den Augen des Kardinalkollegiums zerstören.
    Laurenz blickte sich noch ein letztes Mal in dem Raum um, der ihm in den letzten fünf Jahren so vertraut geworden war. Nichts von alldem würde er in diesem Leben je wieder sehen noch brauchen.
    Laurenz sah auf seine Uhr. Zwanzig vor zwölf. Es wurde Zeit. Höchste Zeit. Er wandte sich an den Camerlengo. »Gestatten Sie mir noch einen Moment alleine, Kardinal Camerlengo?«
    »Natürlich, Hochwürden«, erwiderte der Camerlengo.
    Kaum hatte der Camerlengo das Empfangszimmer verlassen, eilte Laurenz durch eine gegenüberliegende Tür in sein Arbeitszimmer und von dort in die Bibliothek mit den wertvollsten seiner fast zwanzigtausend Bücher. Wie in jedem Raum des Appartamento stand auch hier auf einem der barocken Sekretäre ein modernes Telefon mit einer abhörsicheren Leitung. Laurenz unterdrückte dennoch den Impuls, einen letzten Anruf zu tätigen. Es war alles vorbereitet. Alles Weitere lag in Gottes Hand.
    Einen Augenblick lang stand Laurenz einfach nur da und nahm Abschied von seiner Privatbibliothek, seinem geliebten Rückzugsort. Er atmete noch einmal die vertraute Mischung aus altem Papier, Leder, Bohnerwachs und Zeit. Dann öffnete Laurenz das einzige Fenster des Raumes, kletterte entschlossen eine schmale Feuertreppe hinab in den schattigen Innenhof und hoffte, dass sämtliche Angestellten des Palastes durch die Ereignisse der letzten Stunden zu beschäftigt waren, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Er hoffte auch, dass der Kater seinen Weg finden würde.
    Zwei Minuten später stand Laurenz neben einem Leutnant der Schweizergarde, der statt der traditionellen und auffälligen Renaissanceuniform einen dunklen Anzug trug. Es war ruhig hier in dem kleinen Innenhof, kaum ein Laut zu hören, nur das ferne Plätschern eines Brunnens. Von irgendwoher roch es unwiderstehlich nach Speck und frischer Tomatensauce, der klassischen römischen pasta all’ amatriciana , einem von Laurenz’ Leibgerichten. Aber Laurenz wusste, wie trügerisch die friedliche Stimmung und die warme Mailuft waren. Die Nachricht von seinem Rücktritt brandete bereits wie ein Tsunami um die ganze Welt. Der Petersplatz füllte sich mit verstörten Gläubigen und Schaulustigen, die Medien rückten mit Konvois von Übertragungswagen an, die Paparazzi mieteten Hubschrauber und bevölkerten die Hausdächer rund um den Vatikan, die Handynetze rund um den Vatikan kollabierten, und die Regierungschefs der größten Industriestaaten konferierten bereits hektisch.
    Laurenz wandte sich an den Leutnant der Schweizergarde.
    »Haben Sie ihn?«
    »Natürlich, Heiliger Vater.«
    Der Gardist händigte Laurenz zwei Schlüssel aus. Einer davon ein alter Bartschlüssel mit einem grauen Plastikanhänger, auf dem in Druckschrift nur PASSETTO stand.

V
    1. Mai 2011, Vatikanstadt
    H ass ist gut. Schmerz ist gut. Hass und Schmerz sind die himmlischen Brüder, die göttliche Energie der Seele, der Atem des Lichts. Aus Hass hat das Licht dich geschmiedet und dich zu seinem Werkzeug gemacht mit dem Auftrag, Schmerz zu säen. Du bist der zweite apokalyptische Reiter, ein Krieger in rotem Harnisch. Das Licht hat dich ausgesandt, die Welt durch Blut und Tod und Krieg zu reinigen. Und genau das wirst du tun.
    Nikolas drückte sich in den Schatten einer uralten Eiche und sah den Privatsekretär des Papstes über den Campo santo teutonico , den deutschen Friedhof, eilen. Nikolas selbst hatte keine Eile. Er wusste, wohin der Mann in der schwarzen Soutane wollte.
    Du bist das Werkzeug des Lichts. Durch den Orden hat dir das Licht deinen göttlichen Auftrag enthüllt und dich gelehrt, dass Hass und Schmerz gut sind und eins. Aber es hat dich auch gelehrt, dass du in dieser verkommenen sündigen Welt nur in einer geschickten Verkleidung auftreten darfst, wenn du deine Mission nicht gefährden willst.
    Der Privatsekretär überquerte den Platz vor dem Gerichtspalast und verschwand hinter dem Gebäude. Nikolas löste sich aus dem Schatten und folgte ihm nun. Immer noch beeilte er sich nicht sonderlich, doch seine Schritte waren groß genug,
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